Nachblute der römisch-griechischen Literatur. 381
entnervt, kriegerischen Muth, Treu und Glanben unter einander, rasches
Anwachsen der Volksmenge, einen mächtigen, wenn auch dunklen Drang
zu großen Unternehmungen. Darum hielt er den Römern in seiner Ger-
mania einen Spiegel vor, in welchem sie das Gegenstück ihres verkom-
menen geistigen und leiblichen Lebens anschauen sollten. Tacitus ist da-
durch zum eigentlichen Propheten der großen germanischen Zukunft ge-
worden, aber bei den Römern bewirkte dieser heidnische Jeremias keine
Umkehr zum Besseren, und niemand wollte es ihm glauben, daß die
Germanen zu der Erbschaft des römischen Reiches berufen seien. Man
schrieb seine Unheil verkündenden Mahnungen, seine düstere Schilderung
der römischen Zustände seiner Unzufriedenheit mit der monarchischen
Staatsform des Reiches zu. Allerdings war Tacitus Cwie jeder ächte
Römer) Republikaner insofern, als er die Zeiten der Republik für bessere
hielt als die des Kaiserthums; aber er war von der Unmöglichkeit der
Republik vollkommen überzeugt, begleitete unter den Flaviern Staats-
ämter und wußte unter Domitian zu schweigen und doch seine Pflicht
zu thun. Aber die Entwürdigung der Römer durch die Despotie em-
pfand er tief und wenn er an die von keinem Hoffnungsstrahle erhellte
Zukunft dachte, verzweifelte er an der römischen Welt und ihren Göttern.
Das Christenthum berührte diesen römischen Propheten nicht; er weiß,
daß die Juden nur Einen Gott anbeten, findet aber diese auffallende
Erscheinung merkwürdigerweise keiner besondern Aufmerksamkeit würdig,
und ebenso wenig hält er es der Mühe werth, sich um den Glauben
der Christen zu bekümmern; er verachtet sie und beschuldigt sie wie der
Pöbel des Hasses gegen das menschliche Geschlecht. Die Weissagung,
daß aus Judäa der Herr der Erde hervorgehen werde, deutet er auf
Vespasian, der, während er in diesem Lande zu Felde lag, zum Kaiser
ausgerufen wurde. Denn römischer Kaiser werden hieß ja Herr der Erde
werden, und zudem war Tacitus auch seinem religiösen Glauben nach
altrömisch, insofern er denselben als die Wurzel des Glückes und der
Größe Roms erkannt hatte; trauernd gestehbt er aber, daß die Götter nur
mehr sorgen, daß die römischen Frevel nicht ungerächt bleiben; ein ver-
hängnißvolles Götterwalten, wenn die einen Römer durch den Frevel,
die andern durch die Bestrafung des Frevels zu Grunde gehen mußten!
Neben Tacitus müssen wir den Geschichtschreiber Suetonius und
den Satiriker Juvenalis nennen. Suetonius hat die Lebenzgeschichte
der zwölf ersten Cäsaren beschrieben, und da er durch Hadrians Gunst
die kaiserlichen Archive benutzen konnte, so theilt er manche Notiz mit,
die geeignet ist, über den Charakter der Cäsaren und die Beweggründe
ihrer Handlungsweise Aufschluß zu geben. Wichtiger ist er uns jedoch
durch die Schilderung des Privatlebens der Cäsaren; wir sehen da, wie
diese Herren das Gefühl ihrer Allgewalt peinigt, die ihnen alles gegen