Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

2 Siebenundzwanzigstes Kapitel 28. Okt. 1880 
einer glänzenden Autorität zu sein scheint, durch eine Hofintrigue 
zum Rücktritt gezwungen würde. Ich würde die Nachricht für sehr 
unwahrscheinlich halten, wenn meine Quelle minder glaubwürdig 
wäre; und wenn die Nachricht nicht von dem unterstützt würde, was 
man über die Charaktere der Hauptpersonen des Dramas weiß. 
Die frühere Erfahrung hat gezeigt, daß der Kanzler keine Wider- 
wärtigkeit gegenüber einer so krankhaften Empfindlichkeit zeigt, wie 
bei Parteinahme des Hofes für Intriguen, die gegen ihn persönlich 
gerichtet sind. Man hat ähnliches in den konfessionellen Kämpfen, 
zur Zeit der Prozesse wegen Verleumdung gegen ihn und bei seinem 
Abschiedsgesuche im Jahre 1877 beobachten können. Man muß 
darin eine Schwäche erkennen, die aus der Tradition seiner frühern 
Jahre und aus seinem Verhältnisse zum Königtume entspringt, das 
wir mehr als ein karlistisches, denn als ein staatsmännisches be- 
zeichnen möchten. (Hier begegneten sich die Augen zweier Auguren 
und lächelten schelmisch.) Wir bedauern behaupten zu müssen, daß 
seine Empfindungen für sein Vaterland und seine Nation denen 
eines Dieners seines Königs untergeordnet sind (hier schmunzelten 
die beiden Auguren abermals, und eine Stimme sagte: Wahrhaft 
köstlichlc), und daß die Größe der Aufgabe, die ihm gestellt ist, 
ihn auch heute von dem Drucke der höfischen und dynastischen Ein- 
flüsse nicht emanzipiert. Er würde, wenn er Hannoveraner oder 
Bayer wäre, wahrscheinlich aus dynastischer Anhänglichkeit ein un- 
verbesserlicher Partikularist sein und bleiben. Wir würden es nicht 
bloß aus politischen Gründen, sondern auch in seinem persönlichen 
Interesse beklagen, wenn er heute über Fäden stolpern sollte, von 
denen man leider weiß, daß sie in seinen Augen unzerreißbar sind.“ 
Das war offenbar — nicht von Bucher konzipiert. Dieser 
fügte aber noch hinzu, der Kaiser wolle in die orientalische Frage 
selbst eingreifen, und er habe deshalb schon ohne Wissen des Chefs 
Telegramme abgehen lassen. Jetzt hätten wir in Konstantinopel 
Erfolge errungen, und da wollte der Fürst Hatzfeldt abberufen 
und ins Auswärtige Amt versetzen, sodaß er mit Glanz aus 
seiner bisherigen Stellung schiede. Später würde es doch wieder 
schlimmer werden, und dann würde das vorzüglich auf Hatzfeldt, 
den Doyen der Botschaft, fallen. Der Kaiser aber habe sich von 
Goltz einreden lassen, daß alles so vortrefflich wie jetzt bleiben
	        
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