Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

4. Nov. 1880 Siebenundzwanzigstes Kapitel 5 
hatte. Hatzfeldt sollte nach dem Wunsche des Reichskanzlers jetzt 
oder doch in allernächster Zeit, wo er mit einigem Glanze in Kon- 
stantinopel abtreten konnte, nach Berlin berufen werden. Am Hofe 
war man infolge des Goltzschen Einflusses andrer Meinung, der 
man in gewissen Schritten Folge gegeben zu haben scheint, und die 
dem Kanzler nicht zu dem Ellenbogenraum paßt, den er mit Recht 
beansprucht. Zuletzt wandte er sich mit einer ausführlichen Denk- 
schrift an die entscheidende Stelle, und dieser Schritt hatte Erfolg. 
Man war mit der Eingabe einverstanden und erklärte das auf dem 
kürzesten Wege, d. h. durch den Telegraphendraht. Herr von Radowitz 
geht infolge dessen von Paris statt nach Berlin auf seinen alten 
Posten nach Athen. Er wird auch vorläufig nicht nach Konstanti- 
nopel gehen, um Hatzfeldts Stelle einzunehmen, was ihm bis auf 
weiteres auch angenehm gewesen wäre. Sein Ehrgeiz, der sich viel- 
fach schon früher kundgegeben hat, z. B. in Zeitungsartikeln, die 
seine Leistungen ans Licht zogen, muß sich mit einer kleinen Ge- 
sandtschaft begnügen, die aber jetzt Gelegenheit bietet, seinem Chef 
und dem Frieden Europas nützliche Dienste zu leisten. Es wäre 
übrigens zu wünschen, daß am Hofe für die Zukunft solche Friktionen 
vermieden würden, denn sie stören nur die Geschäfte.“ Mittlerweile 
hatte ich auch der Wiener Montags-Revue eine Notiz über die 
Kanzlerkrisis zukommen lassen, aus der diese ein Sensationstelegramm 
folgenden Wortlauts zu verfertigen für erlaubt hielt: „Fürst Bis- 
marck dürfte, obwohl in Friedrichsruh gesünder als seit Jahren, in 
diesem Augenblicke seine Entlassung bereits eingereicht haben. Jeden- 
falls ist er dazu entschlossen. Als Ursache giebt man die Intrigue 
eines Höflings und Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die 
Besetzung des Postens eines Staatssekretärs des Außern an.“ Auf 
die in der Presse erfolgenden Ableugnungen der in diesem Pseudo- 
telegramm übertriebnen Thatsache antwortete ich in der nächsten 
Nummer des Wiener Blattes: „Die Dementis, die sich auf das 
Telegramm der Montags-Revue von dem Entlassungsgesuche des 
deutschen Kanzlers bezogen, hatten nur insofern Berechtigung, als 
dort eine Möglichkeit als eine vielleicht schon eingetretne Thatsache 
betrachtet wurde. Die Krisis bestand. Sie ist im Sinne des 
Fürsten beseitigt worden, und zwar schon Ende des vorigen Monats. 
Die Gegenpartei am Hofe ist unterlegen, an entscheidender Stelle
	        
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