218 Zweiunddreißigstes Kapitel 28. April 1887
Dr. Moritz Busch dankbar sein, wenn derselbe ihm heute etwa um
2½ Uhr die Ehre seines Besuchs schenken wollte. Berlin, den
28. April 1887.“ (Keine Unterschrift.) Ging zu angegebner Stunde
hin, hörte vom Portier, daß Rottenburg mich vorher sprechen wolle,
erfuhr von diesem, daß der Fürst zwei Aufgaben für mich habe:
eine Darstellung der Patriotenliga und einen Aufsatz über den
Hammersteinschen Antrag wegen der evangelischen Kirche, 1 und
wurde um drei Uhr von Theiß zum Fürsten hineingerufen, bei dem
ich dann bis 3¾ Uhr blieb. Er klagte wieder viel über Unwohl-
sein und Schlaflosigkeit sowie über Geschäftsüberbürdung von allen
Ministerien her. „Aber über das vorausgesehene Sterbejahr sind
Sie doch mit Ihrem letzten Geburtstage hinweg,“ sagte ich, indem
ich ihn an seine Äußerungen in Versailles und Varzin erinnerter
und hinzufügte, jetzt erlaube ich mir ihm zum erstenmale zum Ge-
burtstage zu gratulieren, weil der letzte ein wichtiger Abschnitt sei.
Er lächelte und sagte: „Ja, ein Abschnitt. Ich hatte bemerkt, daß
in meinem Leben gewisse Abschnitte mit Veränderungen, Wechseln
waren, körperlich und geistig, eine bestimmte Anzahl von Jahren
(ich glaube, er sagte elf), die sich wiederholte, und daraus hatte ich
mir mit kabbalistischen Zahlen herausgerechnet, daß ich einundsiebzig
Jahre alt werden und 1886 sterben würde. Jetzt, wo das nicht
eingetroffen ist, werde ichs wohl auf drei= oder vierundachtzig bringen.“
Er kam dann auf das zu sprechen, was ihn bewogen hätte, mich
bestellen zu lassen, und zwar hatte er damit nicht Hammerstein und
Genossen, sondern die Verlegenheit der Ultramontanen gegenüber
der Kaplanokratie, der Demokratie der mittlern und niedern Geist-
lichkeit, im Auge, die man zur Mithilfe gegen die Regierung auf-
geboten hätte, und die sich jetzt disziplinlos nicht dem Papste habe
fügen wollen. Er verglich diese Verlegenheit mit der des Goethischen
Zauberlehrlings und sprach von „antipäpstlichen Katholiken.“ Er
schloß: „Ich mag das nicht in unsern Blättern sagen lassen; wir
1 Herr v. Kleist-Retzow stellte am 6. März 1887 einen Antrag im Herren-
hause, der Staat möge auch der evangelischen Kirche größere Selbständigkeit ge-
währen, und im Abgeordnetenhause war ein ähnlicher von Hammerstein zu er-
warten. Fürst Bismarck bekämpfte diese Absicht durch die Rede vom 22. April.
Politische Reden XII, 390 ff.
2 S. B. I, 429 u. II, 487 f.