Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

Dezember 1890 Dreiunddreißigstes Kapitel 307 
legen hätten, und man in Berlin ebenfalls nicht ordentlich gewußt 
hätte, was man wollte, und mit wem man es eigentlich halten 
solle. Man hätte nur zeigen wollen, daß man auch eine Macht 
sei — a mere show of power.! Ich habe aber jetzt den Ranke 
nachgelesen, und danach verhielt sichs gar nicht so. Herzberg leitete 
damals noch die Angelegenheiten, und der war sich ganz klar darüber, 
was er wollte, nämlich Danzig und andre Weichselstädte zur Ab- 
rundung für Westpreußen.“ 
Bucher fuhr fort: „Was ich jetzt gethan habe, kann ein andrer 
Stenograph auch besorgen, es wäre bloß, daß noch ein andrer 
Fremder ins Vertrauen gezogen werden müßte. Aber die Sache 
kritisieren und redigieren, dazu habe ich keine Lust, wieviel auch 
Schweninger bittet und drängt; da giebt es zu viel Mühe und 
Verantwortlichkeit. Und dazu fehlt es an Büchern zum Nach- 
schlagen und Vergleichen. Zwar ist seit fünfundzwanzig Jahren wohl 
kaum ein geschichtliches oder politisches Buch erschienen, wovon man 
ihm nicht ein Exemplar geschickt hätte. Aber die Fürstin hat als 
Bibliothekar darüber verfügt und sie so in die verschiednen Räume, 
in die Keller, wo sie verstocken und verfaulen, auch in die Fremden- 
zimmer verteilt, daß nichts zu finden ist, wenn man es braucht." 
Bucher gab mir zu, daß der Chef den Zeitungsaushorchern 
gegenüber nicht vorsichtig und gegen den Hof nicht vornehm genug 
verfahren sei und seinen Verdruß sehr habe merken lassen. Indes 
habe er in betreff der Ausfrager nicht uneben bemerkt: „Wer viel 
wissen will, erfährt viel, wenn es auch nicht immer die lauterste 
Wahrheit sein muß; besonders gilt dies von den Geschäftsreisenden 
der Preßfirmen, die ja nicht mit der Wahrheit handeln.“ über 
seine Stimmung äußerte Bucher: „Er liest fleißig Zeitungen, ist 
aber im allgemeinen gleichgiltig gegen Politisches, auch meine 
Wirtschaft interessiert mich nicht mehr so sehr, sagte er einmal. 
Es ist das nicht mehr die alte Wurstigkeit im vornehmen Gefühle 
der Leichtigkeit und Überlegenheit, der Kraft zu rascher Überwältigung, 
im sorglosen Blick von der Höhe; es ist die teilnahmlose Gleich- 
giltigkeit, der müde Überdruß.“ 
1 Vgl. jetzt G. u. E. I, 271 ff., wo die Sache genau in dem hier an- 
gedeuteten Sinne behandelt wird. 
  
  
20“
	        
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