Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

368 In den Kreisen der Gothaner 
ein Kreis, in dem sichs gut Hütten bauen ließ, anregend, wohl— 
thuend wie wenige. Jeder trug sein Teil zu der Summe guter 
Gedanken bei, die sich in leichtem Geplauder über dem Glase be— 
gegneten, der eine scharfes Urteil, der andre Erlebnisse seiner 
Wissenschaft. Alle waren gute Kameraden, eins in Liebe und Haß, 
eins im Zusammenklang der Überzeugungen von dem, was der 
Nation allein frommen könne; nur in betreff der Wege, die dahin 
führten, bildeten sich mehr und mehr verschiedne Meinungen aus. 
In einem aber waren und blieben wir alle einig, in der Verehrung 
vor dem Haupte der Gesellschaft, vor dem, dessen Geist und Wesen 
sie vorzüglich zusammengeführt hatte, und dessen Liebenswürdigkeit 
das ganze Rund vor allem erwärmte, wie die Sonne die Planeten 
ihres Systems, in der tiefen, aufrichtigen Verehrung vor Karl 
Mathy, dem damaligen Direktor der Kreditanstalt in Leipzig, dem 
nachmaligen Ministerpräsidenten in Baden. 
Nicht häufig geschieht es wohl, daß ein Süddeutscher rasch 
heimisch wird im Norden, zumal wenn er in gereiftem Alter steht, 
und nicht oft wird sichs begeben, daß wir Verstandesmenschen von 
der norddeutschen Ebne einem Volksgenossen aus dem Süden unser 
Herz zuwenden. Beide Teile der Nation haben ihre besondern 
Vorzüge, die zu ihrer Annäherung führen, beide aber auch Eigen- 
schaften, die sie für den ersten Augenblick fernhalten. Der Süden 
ist dem Norden zu idealistisch, zu gemütlich, zu laut, dieser jenem 
zu sehr auf das Thatsächliche gerichtet, zu zugeknöpft, zu karg mit 
Außerungen dessen, was er empfindet, vielleicht zu vornehm. 
Nichts von dem allen paßte auf das Verhältnis der Gesell- 
schaft im Leipziger Petrinum zu ihrem Mittelpunkt und Häuptling. 
Ein Franke seiner Herkunft nach, vereinigte er in seinem Wesen 
alle Vorzüge der Stämme diesseits und jenseits der Mainlinie 
schon gewissermaßen durch seine Geburt. Ein heller Verstand und 
ein reiches Gemüt, beide in einem ereignisvollen Leben, in sehr 
verschiedner Stellung, in Kämpfen aller Art, in Arbeiten für das 
Wohl des Volks, bald in der Kammer als Redner, bald in der 
Dorfschule als Erzieher, bald als Unterstaatssekretär im Handels- 
ministerium des Deutschen Reichs von 1848 geläutert und gestärkt, 
hoben ihn weit über die allgemeine Anlage seines Stammes hinaus. 
Ohne die Ideale seiner Jugendzeit zu verlieren, hatte er sich schon
	        
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