Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

Die Kriegswochen von 1866 in Leipzig 553 
demokratische Fanatiker voll Aberglauben und Unverstand, in den 
Mythen lebend, die die fruchtbare Erfindungsgabe unfrer Preußen- 
feinde in den letzten Wochen zur Paralysierung der Wirkung der 
preußischen Erfolge in die Welt gesetzt hat, voll Hoffnung auf un- 
veränderte Wiederkehr der alten Zustände, daneben ein paar, sagen 
wir ein halb Dutzend Klügere, die entweder schon früher, meist aus 
materiellen Gründen, für Preußischwerden waren oder durch die 
Okkupation belehrt worden sind, daß es kein Unglück sein würde. 
Einige Energie legen nur die Gegner Preußens an den Tag, vor- 
züglich durch Renommieren und Schimpfen. Die Preußischge- 
sinnten, sofern sie es erst neuerdings geworden sind, sind meist 
durch die Entdeckung bekehrt, daß die Preußen „solche hübsche ge- 
bildete Leutchen sind,“ also auf echt sächsischem gemütlichen Wege. 
Vorher scheint man die Nachbarn aus dem Norden für eine Art 
Menschenfresser gehalten zu haben oder doch für schlimme Räuber. 
Auf der kurzen Tour stieß ich auf mehrere Beispiele, wo nach 
dieser düstern Vorstellung verfahren worden war: in einem Dorfe 
bei Grimma hatten die Bauern auf die Nachricht vom Einmarsche 
der Pickelhauben in Wurzen ihr sämtliches Vieh in den Wald ge- 
schafft, in einem andern hatte man sein Geld und seine Wertsachen 
vergraben u. dergl. 
Gar nicht erfreulich ist der Ton der kleinen Blätter, die fast 
ohne Ausnahme in den Händen der Beustschen Politik waren, die 
jetzt voll von schlechtverhaltnem spezifischen Sachsentum sind, und 
deren Borniertheit von nicht geringem Einfluß auf die Volksstimmung 
sein wird, wenn die Wahlen zum Parlament kommen. Alles, was 
den Durchbruch zu verständiger Betrachtung der Sachlage erschwert, 
wird hier abgedruckt, die Einmischung Frankreichs, die partikularistische 
Agitation im Hannoverschen, der abgeschmackte Brief des Herrn von 
Westphalen müssen zum besten dienen. Gedichte von Dorfpastoren, 
Schulmeistern oder kleinen Beamten, die über das Exil des guten 
Königs klagen und dessen baldige Wiederkehr ersehnen, thun, indem 
sie sich an das Herz des Lesers wenden, ein übriges. Hier müßte 
Wandel geschafft werden, wenn es in den untern Schichten der 
Bevölkerung tagen soll. Die kleine Presse ist für allgemeine Volks- 
wahlen, wie sie Graf Bismarck ins Auge gefaßt hat, unendlich 
viel wichtiger als die große. Macht man hier nicht Ordnung,
	        
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