Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

Die Kriegswochen von 1866 in Leipzig 557 
morgen das wackre alte Bayerngespenst wieder auflebte und mit 
den Rothosen Arm in Arm vor den Augen unsrer patriotischen 
Visionäre herumgaukelte. 
Abends. Richtig prophezeit, nur dichtet das Volk rascher, 
als ich dachte. Bayernspuk wieder auf den Beinen. Unser Mythen= 
briefträger Fritsche weiß es ganz gewiß. Die Nachricht, daß der 
Zug, der diese Nacht auf der Bayrischen Bahn hier eingetroffen ist, 
bei Neumark ein Unglück gehabt hat, und daß dabei ein Mann und 
vier Pferde das Leben eingebüßt haben, ist wahr, nur ist die Er- 
klärung, dies sei dadurch veranlaßt worden, daß der Zug in der 
Dunkelheit auf einen andern gestoßen sei, dahin zu berichtigen, daß 
die Bayern den Schaden herbeigeführt haben, indem sie die Wagen 
mit Kanonen beschossen. 
„Aber, Herr Fritsche, es ist ja Waffenstillstand." 
„Ach, was Waffenstillstand! Der Franzose kommt, und da gehts 
bei uns wieder in die Bataille.“ 
Das ist das „Volk,“ und das ungefähr wäre die sächsische 
Armee ohne Einverleibung in die preußische. 
Mittwoch, 15. August. Treitschke von unsern Behörden noch 
immer aus den Schaufenstern der Buchläden und den Lesezimmern 
der Klubs und Ressourcen verbannt, und es wird, wie behauptet wird, 
sogar Klage gegen ihn vorbereitet; in der nächsten Biedermannschen 
Parteiversammlung sicherlich wieder säuberliche Uberwachung durch 
die Polizei, daneben die Stadt voll preußischer Husaren, Musketiere 
und Kanonen, in Dresden desgleichen und überdies acht oder neun 
respekteinflößende Schanzen — wie lange soll dieses Stück aus der 
verkehrten Welt spielen, wie lange sich die Ohnmacht als Macht 
gebärden dürfen und alles im Schwanken verbleiben? Von Glauchau 
schon eine Loyalitätsadresse nach Schönbrunn abgegangen, die erste 
Frucht dieser Rücksichten und dieser Unsicherheit. Nicht lange wirds 
währen, so thun unfre „Patriotischen“ hier und anderwärts des- 
gleichen, und die antipreußische Agitation steht unter den Augen 
des preußischen Zivilkommissars und des preußischen Heeres in ganz 
Sachsen wieder in voller Blüte. 
Er seufzt nach der Polizei, könnte man sagen, wenn man dies 
läse. Nicht doch, er wünscht sie möglichst weit hinweg, er verlangt 
nur, daß die sächsische Polizei veranlaßt werde, beide Parteien mit
	        
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