44 Siebenundzwanzigstes Kapitel 26. Juni 1881
Ich erkundigte mich dann, was er von den nächsten Wahlen
erwarte, und er antwortete: „Da werden die Mittelparteien schwächer
werden und die Fortschrittspartei wahrscheinlich etwas stärker, aber
auch die Konservativen. Diesmal aber sehen wir es nicht mit an,
daß unfre Absichten scheitern. Auflösung, wenn wir unsern Staats-
sozialismus nicht durchbringen — das praktische Christentum. Jetzt
verlohnte es sich für die drei Monate nicht."
Ich fragte: „Hörte ich recht — das praktische Christentum,
Durchlaucht?“
„Ja, gewiß,“" entgegnete er. „Mitleid, hilfreiche Hand, wo
Not ist. Der, welcher uns am leichtesten Geld aufbringen kann,
der Staat muß die Sache in die Hand nehmen. Nicht als Almosen,
sondern als Recht auf Versorgung, wo der gute Wille zur Arbeit
nicht mehr kann. Wozu soll nur der, welcher im Kriege oder als
Beamter erwerbsunfähig geworden ist, Pension haben, und nicht
auch der Soldat der Arbeit? Diese Sache wird sich durchdrücken.
Sie hat ihre Zukunft. Es ist möglich, daß unfre Politik einmal
zu Grunde geht, wenn ich tot bin. Aber der Staatssozialismus paukt
sich durch. Jeder, der diesen Gedanken wieder aufnimmt, wird ans
Ruder kommen. Und die Mittel haben wir, z. B. im Ertrag einer
bessern Tabaksteuer. — Da fällt mir ein: mein Sohn sollte neulich
in einem Vereine eine Rede halten, gegen die Fortschrittler. Da
habe ich ihm empfohlen, den Ausdruck einzuflechten: Das Stimm-
vieh aus den Richterschen Ställen mit dem Fortschrittsbrette vor
dem Kopfes; er war ihm aber doch zu stark."
Wir sprachen darauf von dem Deutschen Tageblatt, das er
bei den letzten Worten in die Hand genommen hatte. Er lobte es
als gut redigiert. Ich bemerkte, der Verleger, den ich neulich auf
der Leipziger Buchhändlermesse kennen gelernt hätte, habe mir gesagt,
es zähle bereits gegen achttausend Abonnenten. — Er versetzte:
„Schon zehntausend, höre ich.“ — Ich bemerkte: „Die National-
zeitung hat jetzt, wie behauptet wird, kaum noch siebentausend, das
langweilige Organ der Sezessionisten, Bamberger und Kompagnie.“
„Ja — sagte er —, das war immer ein Judenblatt. Besitzer
und Redakteur sind Semiten.“ — „Und geschwollne Schulmeister,“
erlaubte ich mir hinzuzufügen.
Wir kamen hiervon auf die Juden und ihren Zusammenhang