Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

96 Drittes Kapitel 22. August 
dem Vierzehnten, unter ihm, unter seinem Nachfolger, unter der 
Republik, unter dem ersten Kaiserreiche haben sich diese Einfälle 
stets wiederholt, und das Gefühl der Unsicherheit zwingt die deutschen 
Staaten, den Blick unausgesetzt auf Frankreich gerichtet zu halten. 
Daß den Franzosen durch Wegnahme eines Stück Landes ein Ge— 
fühl der Bitterkeit erweckt wird, kommt nicht in Betracht. Diese 
Bitterkeit würde auch ohne Landabtretung vorhanden sein. Oster= 
reich hat 1866 keine Quadratrute seines Gebietes hergeben müssen, 
und haben wir etwa Dank dafür gehabt? Schon unser Sieg bei 
Königgrätz hat die Franzosen mit Mißgunst gegen uns, Haß und 
schwerem Verdruß erfüllt; wie viel mehr werden in dieser Weise 
unfre Siege bei Wörth und Metz auf sie wirken! Rache für diese 
Niederlagen der stolzen Nation wird daher, auch wenn man ihr 
kein Land nimmt, fortan das Feldgeschrei in Paris und den von 
da beeinflußten Kreisen in der Provinz sein, wie man Jahrzehnte 
lang dort an Rache für Waterloo gedacht hat. Ein Feind aber, 
den man nicht durch rücksichtsvolle Behandlung, nachdem er unter- 
legen ist, zum Freunde gewinnen kann, muß unschädlich gemacht 
werden, und zwar auf gründliche, dauernde Weise. Nicht Schleifung 
der östlichen Festungen Frankreichs, sondern ihre Abtretung allein 
kann uns dienen. Wer die Abrüstung will, der muß zunächst 
wünschen, daß die Nachbarn der Franzosen auf diese Maßregel 
eingehen können, da Frankreich der alleinige Friedensstörer in 
Europa ist und es bleiben wird, so lange es dies bleiben kann. 
Es ist ganz erstaunlich, wie geläufig einem solche Gedanken 
des Chefs schon jetzt aus der Feder fließen. Was vor zehn Tagen 
noch wie ein Wunder aussah, ist heute ganz natürlich und selbst- 
verständlich. — Vielleicht gehört dahin auch die Idee von einem 
deutschen Kaiser, von der bei dem Besuche des Kronprinzen die 
Rede gewesen sein soll. Viel Segen auf einmal; aber man darf 
eben alles mögliche jetzt für wahrscheinlich ansehen. 
Bei Tische klagte der Minister über die knappe und allzu 
sparsame Art, wie manches von den obern Beamten beim könig- 
lichen Haushalt eingerichtet sei. „Nur selten Champagner. Auch 
mit dem Essen ist es dürftig bestellt,“ bemerkte er. „Wenn ich mir 
die Zahl der Koteletten überblicke, nehme ich mir nur eins, da ich 
sonst fürchten muß, daß einer der andern Gäste leer ausgeht. Sie
	        
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