Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

142 Fünftes Kapitel 31. August 
Auskunft auf die Fragen meiner Wißbegier. Ich bedaure aber, 
daß ich einige dieser ÄAußerungen aus verschiednen Gründen für 
mich behalten muß und nur andeuten darf, daß sie ebenso lehr- 
reich als charakteristisch waren, und daß ihnen auch erquicklicher 
Humor nicht fehlte. 
Besonders ein Serenissimus schien ihm sehr zuwider zu sein. Er 
sprach mit Bezug auf ihn von „überspanntem Gefühl seiner Bedeutung 
als Fürst, wo ich auch sein Bundeskanzler bin,“ von „hohlem Kopf 
und nichtssagenden konventionellen Redensarten.“ — „Das macht 
aber zum Teil die Erziehung, wo man sie zu solchen leeren Phrasen 
abrichtete. Hier, der Stuhl im Schlosse, ist der Bürgermeister 
von X, der seine Aufwartung macht. „Ach, freut mich sehr, Sie 
zu sehen, Herr Bürgermeister! (Der Kanzler legte dazu den Kopf 
gnädig lächelnd auf die Seite und spitzte den Mund.) Wie geht es 
in der guten Stadt X, sie macht Tabak und Strumpfwarene — 
und dergleichen mehr, wobei man nichts denkt und empfindet.“ 
Ich erlaubte mir die Frage, wie er jetzt mit dem Kronprinzen 
stehe. 
„Vortrefflich — erwiderte er —, wir sind ganz gute Freunde, 
seit er begriffen hat, daß ichs nicht mit den Franzosen halte, was. 
er sich früher — ich weiß nicht, weshalb — eingebildet hat.“ 
Ich sagte, er habe tags vorher recht vergnügt ausgesehen. 
„Warum sollte er auch nicht?“ entgegnete er. „Der Erbe 
eines der mächtigsten Reiche der Welt, der die besten Aussichten 
hat. Er wird übrigens vernünftig sein, die Minister mehr regieren 
lassen, sich nicht so viel selbst vorbehalten und überhaupt manche 
Eigenheiten nicht haben, die alte Herrn seines Gewerbes bisweilen 
unbequem machen. Übrigens ist er natürlich und ehrlich. Aber 
er arbeitet nicht gern viel und ist zufrieden, wenn die Zeitungen 
ihn loben."“ 
Ich erlaubte mir die weitere Frage, was die Kronprinzessin 
für eine Frau sei, und ob sie viel Einfluß auf ihren Gemahl habe. 
„Ich glaube nicht — sagte er —, und was ihren Verstand 
betrifft, so ist sie eine gescheite Person, aber gescheit, wie Frauen 
das sind. Sie kann sich übrigens auch nicht verstellen — wenigstens 
nicht immer. Ich habe ihr viel Thränen gekostet, und sie konnte 
es nicht verbergen, wie böse sie mir war nach den Annexionen.
	        
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