Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

154 Sechstes Kapitel 2. September 
geritten sei, um dem Kaiser Napoleon, der sich aus der Festung 
entfernt habe, entgegen zu gehen, folgte ich ihm, so flink als ich ver— 
mochte. Etwa achthundert Schritt vor der Maasbrücke bei Donchery 
steht rechts von der mit Pappeln bepflanzten Chaussee ein einzelnes 
Haus, das damals von einem Weber aus Belgien bewohnt war. 
Es ist gelblich angestrichen und einstöckig, hat vier Fenster in der 
Front, im Erdgeschoß weiße Läden, im ersten Stock Jalousien 
von gleicher Farbe und ist mit Schiefer gedeckt wie die meisten 
Dächer von Donchery. Daneben war links ein weißblühendes 
Kartoffelfeld, während rechts über dem Wege nach dem etwa fünf— 
zehn Schritt von der Straße entfernten Hause einige Büsche 
standen. Ich sehe hier, daß der Kanzler den Kaiser schon gefunden 
hat. Vor dem Weberhäuschen stehen sechs höhere französische 
Offiziere, von denen fünf rote, mit Goldtressen besetzte Mützen 
aufhaben, während der sechste eine schwarze Mütze trägt. Auf der 
Chaussee hält eine viersitzige Kutsche, anscheinend ein Mietwagen. 
Den Franzosen gegenüber stehen Bismarck, sein Vetter, Graf Bohlen, 
ein Stück davon Leverström sowie ein brauner und ein schwarzer 
Husar. Um acht Uhr kommt Moltke mit einigen Offizieren vom 
Generalstabe, entfernt sich aber nach kurzem Verweilen wieder. 
Bald nachher tritt ein kleiner untersetzter Mann, der eine rote, mit 
Goldborte verzierte Mütze, einen schwarzen, rotgefütterten Paletot 
mit Kapuze und rote Hosen trägt, hinter dem Hause hervor und 
spricht zunächst mit den zum Teil auf dem Rain neben den Kartoffeln 
sitzenden Franzosen. Er hat weiße Glaceehandschuhe an und raucht 
eine Papiercigarre. Es ist der Kaiser. Ich konnte sein Gesicht 
in der geringen Entfernung, in der ich mich von ihm befand, genau 
sehen. Der Blick seiner lichtgrauen Augen hatte etwas Weiches, 
Träumerisches wie der von Leuten, die stark gelebt haben. Die 
Mütze saß ihm ein wenig nach rechts, wohin auch der Kopf neigte. 
Die kurzen Beine standen nicht im rechten Verhältnis zu seinem 
langen Oberkörper. Die ganze Erscheinung hatte etwas Unmilitärisches. 
Der Mann war zu sanft, ich möchte sagen, zu schwammig für die 
Uniform, die er trug, man hätte meinen können, daß er imstande 
sei, bei Gelegenheit sentimental zu werden — lauter Empfindungen, 
die sich einem um so mehr aufdrängten, wenn man den kleinen 
molluskenhaften Herrn mit der hohen, strammen Gestalt unsers
	        
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