156 Sechstes Kapitel 2. September
Die Forderung Moltkes war kurz: Die ganze französische Armee
ergiebt sich in Kriegsgefangenschaft. Wimpffen fand das zu hart.
Die Armee habe durch die Tapferkeit, mit der sie sich geschlagen,
besseres verdient. Man solle sich damit begnügen, sie unter der
Bedingung abziehen zu lassen, daß sie während dieses Krieges
nicht mehr gegen uns diene und nach einer Gegend Frankreichs,
die wir bestimmen sollten, oder nach Algier abmarschiere. Moltke
blieb kühl bei seinem Verlangen. Wimpffen stellte ihm seine un—
glückliche Lage vor. Er sei erst vor zwei Tagen aus Afrika bei
den Truppen angekommen, habe erst gegen das Ende der Schlacht,
als Mac Mahon verwundet worden! sei, das Kommando übernommen
und solle nun seinen Namen unter eine solche Kapitulation setzen.
Lieber würde er sich in der Festung zu halten suchen oder einen
Durchbruch wagen. Moltke bedauerte, auf die Lage des Generals,
die er würdige, nicht Rücksicht nehmen zu können. Er erkannte
die Tüchtigkeit der französischen Truppen an, erklärte aber, Sedan
sei nicht zu halten und ein Durchschlagen ganz unmöglich. Er sei
bereit, einen der Offiziere des Generals unfre Stellungen besichtigen
zu lassen, damit er sich davon überzeuge. Wimpffen meinte nun,
vom politischen Standpunkte aus sei es für uns geraten, ihnen
bessere Bedingungen zu gewähren. Wir müßten einen baldigen
und einen dauernden Frieden wünschen, und den könnten wir nur
haben, wenn wir uns großmütig zeigten. Schonung der Armee
würde diese und das ganze Volk zur Dankbarkeit verpflichten und
freundschaftliche Gefühle erwecken. Das Gegenteil wäre der Anfang
endloser Kriege. Darauf nahm ich das Wort, weil das in mein
Gewerbe einschlug. Ich sagte ihm, man könne wohl auf die Er-
kenntlichkeit eines Fürsten, aber nicht wohl auf die eines Volkes
bauen, und am wenigsten auf die der Franzosen. Hier gebe es
keine dauerhaften Verhältnisse und Einrichtungen, unaufhörlich
wechselten die Regierungen und Dynastien, von denen die eine nicht
zu halten brauche, wozu die andre sich verpflichtet fühle. Säße
1 Mac Mahon wurde schon am frühen Morgen im Osten der Stadt von
einem Granatsplitter (wahrscheinlich aus einer sächsischen Batterie) verwundet,
dann erhob Ducrot Anspruch auf den Oberbefehl, und erst später ging er auf
Wimpffen über. Über diese Verhandlungen sehr lebendig der Augen= und
Ohrenzeuge Verdy du Vernois 150 ff.