2. September Sechstes Kapitel 163
große, breitschultrige Gestalten und wilde Gesichter mit affenartiger
Bildung, desgleichen mehrere alte Troupiers mit der Krim= und
Mexiko-Medaille. Dabei soll sich der folgende tragikomische Vor-
fall ereignet haben. Ein daher marschierender Gefangner gewahrt
auf dem Markte einen Verwundeten und erkennt in ihm seinen
Bruder. Eh, mon frêre! ruft er und will auf ihn zu. Gevatter
Schwab aus der Eskorte aber sagt: „Ach, was frieren, mich friert
auch!“ und stößt ihn in die Kolonne zurück. Ich bitte um Ent-
schuldigung, wenn das ein Kalauer ist; ich habe ihn dann nur nach-
erzählt, nicht selbst verbrochen.
Nach drei Uhr gingen zwei eroberte Geschütze mit ihren
Munitionswagen durch unfre Straße, alle noch mit französischen
Pferden bespannt. An der einen Kanone stand, mit Kreide ge-
schrieben: „5. Jäger, Görlitz.“ Etwas später brannte es auf einer
Gasse rechts hinter unserm Quartier. Die Württemberger hatten
dort ein Branntweinfaß aufgeschlagen und unvorsichtig Feuer dabei
angezündet. Ein andres Haus sollte von ihnen demoliert worden
sein, weil man ihnen da den verlangten Schnaps verweigert hatte;
die Zerstörung kann aber nicht schlimm gewesen sein, denn als wir
nach der Stelle hingingen, war nichts davon zu bemerken.
Unter den Einwohnern unsers Städtchen herrschte Not, und
selbst unser Wirt, beiläufig wie seine Frau eine gute Seele, litt
Mangel an Brot. Der Ort war überfüllt mit Einquartierung und
Verwundeten, die man teilweise in Ställen untergebracht hatte.
Hofvolk wollte unser Haus für den Erbgroßherzog von Weimar in
Anspruch nehmen. Wir wehrten es mit Erfolg ab. Dann verlangte
ein Offizier für einen mecklenburgischen Prinzen bei uns Ouartier.
Wir vertraten ihm den Weg und sagten auch ihm, das ginge nicht,
hier wohnte der Bundeskanzler. Als ich dann aber eine Weile weg
war, hatten sich die weimarischen Herren doch eingedrängt, und
man mußte froh sein, daß sie nicht auch unserm Chef sein Bett
genommen hatten.
Um zehn Uhr war der Minister noch nicht zurück, und wir
waren in Sorge und Verlegenheit. Es konute ihm ein Unfall
widerfahren sein, oder er konnte sich mit dem Könige vom Schlacht-
felde nach Vendresse begeben haben. Nach elf Uhr indes kam er
an, und ich speiste mit ihm. Der weimarische Erbprinz, als hell-
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