Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

196 Siebentes Kapitel 15. September 
in dem stattlichen Hause des Vicomte de la Motte, das hinter sich 
einen ausgedehnten Garten hat. Ich habe mein Quartier unmittel— 
bar gegenüber bei einem Baron Vaudeuvre, einem alten Herrn, der 
ausgeflogen ist, und an dessen Schreibtisch ich in aller Bequem— 
lichkeit arbeiten kann. Auch habe ich die Wahl zwischen zwei ver— 
schiednen Schlafzimmern und einem Himmelbett mit seidnen und 
einem mit leinenen oder baumwollnen Vorhängen. Endlich ist die 
Aussicht von der Studierstube des Barons, deren Fenster auf einen 
kleinen Garten mit alten Bäumen und Schlinggewächsen hinaus— 
gehen, der Art, daß man bald heimisch wird, und die Bibliothek 
an der Wand könnte, wenn man zum Zeitvertreib hier wäre, gleich— 
falls willkommen sein. Sie ist gut gewählt. Ich finde in ihr 
unter anderm Sismondis Histoire des Francais, A. Thierrys sämt- 
liche Schriften, Cousins philosopische Essays, Renans Bistoire 
religieuse, Rossis Nationalökonomie und andre historische und volks- 
wirtschaftliche Werke. Das Haus hat eine Menge kleine Seiten- 
stübchen, Alkoven, Tapetenthürchen, verborgne Wandschränke, und 
es wohnt in ihm außer mir niemand als unten im Erdgeschoß die 
beiden heute aus Berlin angekommnen Schutzmänner, die dem 
Minister von jetzt an, wenn er ausgeht, in Zivil folgen sollen. 
Ausgeht — wenn er aber nun ausreitet? 
Vor Tische heißt es, daß ein Parlamentär aus Paris an- 
gekommen sei, und man zeigt mir im Hofe vor dem Hause des 
Chefs einen schlanken dunkelhaarigen jungen Mann. Das wäre 
der Besagte. Der Sprache nach schien er ein Engländer zu sein. 
Beim Diner sind die beiden Grafen York zu Gaste da. Sie geben 
uns die Erklärung, warum wir in den Dörfern so wenig Menschen 
angetroffen haben. Im Walde haben sie ganze Scharen von 
Bauersleuten gefunden, die, mit einem Teil ihrer Habe, nament- 
lich mit dem Vieh dahin geflüchtet, sehr erfreut gewesen sind, als 
man sie, die durchgehends ohne Waffen waren, aufgefordert hat, ohne 
Furcht und Sorge in ihr Dorf zurückzukehren. „Wenn ich Militär 
  
1 Sir Edward Malet, Sekretär bei der britischen Botschaft in Paris, 
der am 15. September in Meaux eintraf, um eine Unterredung für Jules Favre 
zu erbitten. Bismarck-Regesten I, 404. „Bismarck war außer sich, daß die 
Vorposten ihn überhaupt durchgelassen haben,“ Roon an seine Frau, Meaux, 
17. September 1870. Denkwürdigkeiten III/, 221.
	        
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