20. September Achtes Kapitel 215
Zeit lang zweifelhalter als die Beantwortung der Frage, ob es so
hätte bleiben sollen. Deutlicher gesprochen: ich wußte keinen ver—
nünftigen Grund für ein Verhalten aufzufinden, bei dem man den
Millionär Rothschild mit Requisitionen, und zwar seinem Riesen—
vermögen angemessenen Requisitionen, auch dann noch verschont
hätte, als man nicht mehr sagen konnte, sie seien für den König
und seine Umgebung. In der That wurde später in Versailles
erzählt, daß schon am Tage nach unsrer Abreise ein halb Dutzend
Requisitionskommandos in Ferrieres erschienen sei und eine Menge
eß= und trinkbarer Dinge abgeholt habe, und daß selbst die Hirsche
im Gehege am Teiche von unsern Soldaten vergnügt aufgegessen
worden seien. Zu meiner tiefen Betrübnis aber mußte ich dann
aus glaubwürdiger Quelle erfahren, daß dem nicht so sei. Die
Erzählungen waren fromme Münsche, die sich, wie das oft geht,
in Mythen verwandelt hatten. Die Ausnahmestellung des Schlosses
war bis zum Ende des Krieges in jeder Beziehung gewahrt worden.
Um so widerwärtiger fühlte man sich durch die Nachricht berührt,
daß Rothschild in der Pariser Gesellschaft, jene Rede unsers Chefs
lügenhaft übertreibend, verbreitet haben sollte, die Preußen hätten
seinen Regisseur in Ferrieres prügeln wollen, weil die Fasanen,
die er ihnen vorgesetzt habe, nicht getrüffelt gewesen wären.
Am andern Morgen kam der Minister in die mit hübsch ge-
schnitzten Eichenholzmöbeln und einigen kostbaren Porzellanvasen
ausgestattete „Chambre de Chasse“ des Schlosses, die wir zum
Büreau umgewandelt hatten, sah sich das auf dem Mitteltische
liegende Jagdbuch an und zeigte mir das Blatt vom 3. November
1856, das besagt, daß er an diesem Tage mit Galiffet und andern
hier gejagt und zweiundvierzig Stück Wild, vierzehn Hasen, ein
Kaninchen und siebenundzwanzig Fasanen geschossen habe. Jetzt
jagte er mit Moltke und andern ein vornehmeres Wild, den Wolf
von Grand Pré, wovon er damals wohl noch nichts ahnte und
seine Jagdgenossenschaft sicherlich noch weniger.
Um elf Uhr hatte er die dritte Zusammenkunft mit Favre,
danach eine Beratung beim Könige, bei der auch Moltke und Roon
zugegen waren.1 Das gab, nachdem einige Briefe nach Berlin,
1 Bismarck-Regesten I, 404. Die Beratung beim König fand nicht nachher,
sondern vorher statt; da die Franzosen etwas zu früh kamen, so mußten sie im