Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

242 Achtes Kapitel 27. September 
Wiedereinsetzung Napoleons denken, hält sie aber für eine moralische 
Unmöglichkeit und ist somit geneigt, anzunehmen, daß Andeutungen 
in der Presse, in denen sie als denkbar erscheint, nur eine Pression 
auf die provisorische Regierung in Paris im Auge haben. Aller— 
orten, zuletzt in einem Kreise politischer Freunde zu Karlsruhe hat 
er Gelegenheit gehabt, zu konstatieren, daß eine unter deutschen 
Auspizien vorgenommne Restauration des Napoleonismus dem 
öffentlichen Gewissen wie eine Monstruosität vorkommt. „Niemand 
— so fährt er fort — verkennt die Schwierigkeit, mit einem andern 
Repräsentanten Frankreichs abzuschließen; niemand verkennt die 
äußere und innere Haltlosigkeit der improvisierten republikanischen 
Regierung. Aber im Gefühl, das stärker ist als alle praktischen 
Räsonnements, perhorresziert jene Lösung als eine moralische 
Unmöglichkeit. Die erhabne sittliche Größe, mit der Deutschland 
in diesem Kampfe aufgetreten, und die sich wiederum zugleich als 
die größte weltgeschichtliche Macht erwiesen, würde sich, so zu sagen, 
selbst eine Eselskappe aufsetzen, wenn sie dies von uns selbst tausend- 
fach gebrandmarkte Regiment auf ihren Bajonetten zurückführte." 
Teile den Brief, wie der Verfasser gewünscht, dem Kanzler mit. 
Schickt mir ihn wieder. Das Wort „Gefühl“ ist von ihm zweimal 
unterstrichen und mit einem Ausrufungszeichen versehen. 
Beim Diner sind Fürst Radziwill und Knobelsdorff vom 
Generalstabe anwesend. Als von der Stelle in Favres Bericht 
über seine Verhandlungen mit dem Chef die Rede ist, wo er ge- 
weint haben will, meint der Minister, er habe sich wohl nur so 
gestellt. „Es ist wahr — sagte er —, er sah so aus, und ich ver- 
suchte ihn einigermaßen zu trösten. Wie ich mir ihn aber genauer 
betrachtete — ich glaube ganz bestimmt, daß er nicht eine Thräne 
herausgebracht hatte. Er dachte vermutlich mit Schauspielerei auf 
mich zu wirken wie die Pariser Advokaten auf ihr Publikum. Ich 
bin fest überzeugt, daß er in Ferrieres auch weiß geschminkt war — 
besonders das zweite mal. An diesem Morgen sah er viel grauer 
aus — um den Angegriffnen und Tiefleidenden vorzustellen. — 
Es ist auch möglich, daß es ihm wirklich nahe geht, aber er ist 
kein Politiker, er sollte wissen, daß Gefühlsausbrüche nicht in die 
Politik gehören.“ Nach einem Weilchen fuhr der Minister fort: „Als 
ich was von Straßburg und Metz fallen ließ, machte er ein Gesicht,
	        
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