Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

248 Achtes Kapitel 28. September 
wegen meine Schuldigkeit thun zu müssen.) Wenn ich nicht an 
eine göttliche Ordnung glaubte, die diese deutsche Nation zu etwas 
Gutem und Großem bestimmt hätte, so würde ich das Diplomaten- 
gewerbe gleich aufgeben oder das Geschäft gar nicht übernommen 
  
*) Man vergleiche hiermit die Rede, die Bismarck am 15. Juni 1847 im 
Vereinigten Landtage hielt. Es heißt darin: „Ich bin der Meinung, daß der 
Begriff des christlichen Staates so alt sei, wie das ci-devant heilige römische 
Reich, so alt wie sämtliche europäische Staaten, daß er gerade der Boden sei, 
in dem diese Staaten Wurzel geschlagen haben, und daß jeder Staat, wenn er 
seine Dauer gesichert sehen, wenn er die Berechtigung zur Existenz nur nach- 
weisen will, auf religiöser Grundlage sich bewegen muß. Für mich sind die 
Worte von „Gottes Gnaden, die christliche Herrscher ihrem Namen beifügen, 
kein leerer Schall, sondern ich sehe darin das Bekenntnis, daß die Fürsten das 
Szepter, das ihnen Gott verliehen hat, nach Gottes Willen auf Erden führen 
wollen. Als Gottes Willen kann ich aber nur erkennen, was in den christlichen 
Evangelien offenbart worden ist, und ich glaube in meinem Rechte zu sein, 
wenn ich einen solchen Staat einen christlichen nenne, welcher sich die Aufgabe 
gestellt hat, die Lehre des Christentums zu verwirklichen. Erkennt man die 
religiöse Grundlage des Staates überhaupt an, so kann, glaube ich, diese Grund- 
lage nur das Christentum sein. Entziehen wir diese religiöse Grundlage dem 
Staate, so behalten wir als Staat nichts als ein zufälliges Aggregat von Rechten, 
eine Art Bollwerk gegen den Krieg aller gegen alle übrig, ein Begriff, den die 
ältere Philosophie aufgestellt hat. Seine Gesetzgebung wird sich dann nicht mehr 
aus dem Urquell der ewigen Wahrheit regenerieren, sondern aus den vagen und 
wandelbaren Begriffen von Humanität, wie sie sich in den Köpfen derjenigen, 
welche gerade an der Spitze stehen, gestalten. Wie man in solchen Staaten den 
Ideen z. B. der Kommunisten über die Immoralität des Eigentums, über den 
hohen sittlichen Wert des Diebstahls als eines Versuchs, die angebornen Rechte 
der Menschen wiederherzustellen, das Recht, sich geltend zu machen, bestreiten 
will, wenn sie dazu die Kraft in sich fühlen, ist mir nicht klar. Denn auch diese 
Ideen werden von ihren Trägern für human gehalten, ja als die erste Blüte 
der Humanität angesehen. Deshalb, meine Herren, schmälern wir dem Volke 
nicht sein Christentum, indem wir ihm zeigen, daß es für seine Gesetzgeber 
nicht nötig sei, nehmen wir ihm nicht den Glauben, daß unfre Gesetzgebung aus 
der Quelle des Christentums schöpfe, und daß der Staat die Realisierung des 
Christentums bezweckt, wenn er auch diesen Zweck nicht immer erreicht. Wenn 
ich mir als Repräsentanten der geheiligten Majestät des Königs gegenüber einen 
Juden denke, dem ich gehorchen soll, so muß ich bekennen, daß ich mich tief 
niedergedrückt und gebeugt fühlen würde, daß mich die Freudigkeit und das auf- 
rechte Ehrgefühl verlassen würden, mit welchen ich jetzt meine Pflichten gegen 
den Staat zu erfüllen bemüht bin.“ Politische Reden des Fürsten Bismarck, 
herausgegeben von H. Kohl I, 24.
	        
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