Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

28. September Achtes Kapitel 249 
haben! Orden und Titel reizen mich nicht.“ — „Der entschlossene 
(soll wohl heißen, feste, zuversichtliche, zur Bethätigung bereite) 
Glaube an ein Leben nach dem Tode — deshalb bin ich Royalist, 
sonst wäre ich von Natur Republikaner.“ — „Ja, ich bin Re- 
publikaner! — im höchsten Grade, und ich habe die Standhaftigkeit, 
die ich zehn Jahre lang an den Tag gelegt habe gegen alle mög- 
lichen Absurditäten, nur aus meinem entschlossenen Glauben. Nehmen 
Sie mir diesen Glauben, und Sie nehmen mir das Vaterland. 
Wenn ich nicht ein strammgläubiger Christ wäre, wenn ich die 
wundervolle Basis der Religion nicht hätte, so würden Sie einen 
solchen Bundeskanzler gar nicht erlebt haben.“ — „Hätte ich die 
wundervolle Basis der Religion nicht, so wäre ich dem ganzen Hofe 
schon längst mit dem Sitzzeug ins Gesicht gesprungen, und schaffen 
Sie mir einen Nachfolger mit jener Basis, so gehe ich auf der 
Stelle. Aber ich lebe unter Heiden. Ich will keine Proselyten damit 
machen, aber ich habe das Bedürfnis, diesen Glauben zu bekennen.“2 
Katt meinte, aber die Alten, die Griechen hätten doch auch 
Selbstverleugnung und Hingebung gezeigt, sie hätten Vaterlands- 
liebe gehabt und Großes gethan mit ihr. Er sei überzeugt, daß 
viele Leute jetzt gleiches thäten aus Staatsgefühl, aus dem Gefühl 
der Zusammengehörigkeit. 
Der Chef erwiderte, diese Selbstverleugnung und Hingebung 
an die Pflicht gegen den Staat und den König sei bei uns eben 
nur der Rest des Glaubens der Väter und Großväter in verwan— 
delter Gestalt, „unklarer und doch wirksam, nicht mehr Glaube und 
doch Glaube.“ — „Wie gerne ginge ich! Ich habe Freude am 
Landleben, an Wald und Natur. Nehmen Sie mir den Zusammen— 
hang mit Gott, und ich bin ein Mensch, der morgen einpackt und 
nach Varzin ausreißt und seinen Hafer baut.“ — „Sie nehmen 
  
1 Natürlich nur in dem Sinne seines persönlichen Unabhängigkeitsgefühls. 
2 Man erinnere sich zu dem Obigen ferner einer gewissen Stelle in der 
Rede, die der Kanzler am 9. Oktober 1878 bei Beratung des Sozialistengesetzes 
im Reichstage hielt. Er sagte hier u. a.: „Wenn ich zu dem Unglauben ge- 
kommen wäre, der diesen Leuten (den Sozialdemokraten) beigebracht ist — ja, 
meine Herren, ich lebe in einer reichen Thätigkeit, in einer wohlhabenden 
Situation, aber das alles könnte mich doch nicht zu dem Wunsche veranlassen, 
einen Tag länger zu leben, wenn ich das, was der Dichter (Karl Streckfuß) sagt, 
„An Gott und bessere Zukunft glauben nicht hätte.“ Politische Reden VII, 280.
	        
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