6. Oktober Neuntes Kapitel 269
ernstlich unwohl — und die Frische bewahrte, die er oft noch spät
am Abend in ernster und scherzender Rede an den Tag legte.
Erholung erlaubte sich der Minister nur wenig. Ein Spazier-
ritt zwischen drei und vier Uhr, eine Stunde bei Tische, eine halbe
Stunde bei dem darauf folgenden Kaffee im Salon, dann und wann
später, nach zehn Uhr abends, beim Thee noch eine längere oder
kürzere Unterhaltung mit denen, die zu haben waren, ein paar
Stunden Schlaf nach der Morgendämmerung — die ganze übrige
Zeit des Tages war, wenn nicht ein Ausfall der Franzosen oder
sonst eine bedeutendere militärische Aktion ihn an die Seite des
Königs oder allein nach einem Beobachtungsposten rief, den Ge-
schäften, dem Studieren oder Produzieren auf seinem Zimmer oder
Besprechungen und Unterhandlungen gewidmet.
Bei Tische sah der Kanzler ziemlich jeden Tag Gäste an seiner
Seite, und man lernte auf diese Weise fast alle bekannten und be-
rühmten Namen, die in dem Kriege hervortraten, von Angesicht zu
Angesicht kennen und hörte sie sich äußern. Wiederholt aß Favre
mit uns, erst zögernd, „weil seine Landsleute drinnen hungerten,“
dann auf verständigen Rat und Zuspruch hörend und den vielen
guten Dingen, die Küche und Keller boten, so rechtschaffen wie
andre Gerechtigkeit widerfahren lassend. Einmal nahm auch Thiers
mit seinem gescheiten Gesicht an unserm Diner teil. Ein ander-
mal erwies uns der Kronprinz die Ehre, mit uns zu speisen und
sich darauf die ihm bis dahin nicht bekannten Mitarbeiter des Chefs
von ihm vorstellen zu lassen. Wieder ein andermal war Prinz
Albrecht zugegen. Von fernern Gästen des Ministers nenne ich
hier noch den Präsidenten des Bundeskanzleramts, Delbrück, der
mehrmals wochenlang in Versailles war, den Herzog von Ratibor,
den Fürsten Putbus, von Bennigsen, Simson, Bamberger, Frieden-
thal und von Blanckenburg, dann die bayrischen Minister Graf Bray
und von Lutz, die württembergischen von Wächter und Mittnacht,
von Roggenbach, den Fürsten Radziwill, endlich Odo Russell, den
spätern englischen Botschafter beim Deutschen Reiche. Die Unter-
haltung war, wenn der Chef zugegen war, immer lebhaft und
mannigfaltig, oft lehrreich in betreff seiner Weise, die Menschen und
die Dinge aufzufassen, oder in betreff gewisser Episoden und Auf-
tritte seines vergangnen Lebens. Die materiellen Genüsse lieferte