Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

270 Neuntes Kapitel 6. Oktober 
zum Teil die Heimat in Form von Liebesgaben, die in fester und 
flüssiger Gestalt zuweilen in Uberfülle einliefen, sodaß die Speise- 
kammer sie kaum faßte. Zu den edelsten gehörten eine Sendung 
Flaschen vom besten Pfälzer Wein — wenn ich mich recht erinnre 
Deidesheimer Kirchenstück und Forster Hofstück, die Jordan und 
Buhl gespendet hatten — und eine riesige Forellenpastete von 
Friedrich Schulze, dem Wirte des Leipziger Gartens in Berlin, 
dessen patriotischer Wohlthätigkeitssinn uns zugleich reichlich mit 
trefflichem Biere versorgte. Zu den rührendsten zähle ich ein Gericht 
Champignons, die Soldaten in einer Höhle oder in einem Keller 
bei der Stadt gefunden und dem Kanzler gewidmet hatten. Wert- 
voller noch und poetischer war ein Strauß Rosen, den andre 
Soldaten im feindlichen Feuer für ihn gepflückt hatten. 
Bedient wurden wir in der Hauptsache von unsern Kanzlei- 
dienern. Was weiblichen Händen überlassen werden mußte, wurde 
von einer gemieteten Aufwärterin und der Gärtnersfrau besorgt. 
Diese erwies sich als eine feuerflammende französische Patriotin, 
die die „Prussiens“ von ganzem Herzen haßte und Paris auch 
dann noch für uneinnehmbar hielt, als Favre schon die Kapitulation 
unterschrieben hatte. Bazaine, Favre, Thiers waren ihr „Verräter,“ 
vom Exkaiser sprach sie nur als von einem cochon, das man, wenn 
es sich in Frankreich wieder betreten ließe, auf das Schafott schicken 
werde. Dazu blitzten die schwarzen Augen der kleinen, magern, 
hektischen Frau so schrecklich und grausam, daß man sich von Rechts 
wegen hätte fürchten sollen. 
Madame Jessé ließ sich erst in den letzten Tagen vor unfrer 
Wiederabreise sehen und machte, wie bemerkt, keinen vorteilhaften 
Eindruck. Sie scheint dann allerhand Räubergeschichten über uns 
verbreitet zu haben, die von der französischen Presse und zwar selbst 
von solchen Blättern, die sonst Kritik üben und Gefühl für Anstand 
haben, mit Wohlgefallen nacherzählt worden sind.') Unter andern 
sollten wir ihr Silberzeug und ihre Tischwäsche eingepackt und mit- 
genommen haben. Auch habe ihr Graf Bismarck eine wertvolle 
Pendule abdrücken wollen.““) Die erste Behauptung war eine ein- 
  
*) Ich denke dabei an die Revue des Deux Mondes. 
**“) Der Avenir de Loir et Cher enthielt folgendes, wohl zu bemerken, 
nach dem Friedensschlusse: „Über die wahrhaft schändliche Räuberei der Preußen
	        
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