Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

276 Zehntes Kapitel 7. Oktober 
gierung ist keine solche. Sie muß durch eine Nationalversammlung 
bestätigt oder durch eine andre ersetzt werden. Dazu sind allgemeine 
Wahlen erforderlich, und wir sind durchaus bereit, diese in den von 
uns besetzten Landesteilen zu gestatten, soweit es strategische Rück- 
sichten zulassen. Die jetzigen Machthaber in Paris aber scheinen 
dazu keine Neigung zu verspüren. Sie schädigen damit in ihrem 
persönlichen Interesse das Interesse ihres Landes, das so die Leiden 
des Krieges weiter zu tragen hat. 
Am Nachmittag wieder nach dem Parke beim Schlosse; dieses 
mal aber nicht über die Avenue de St. Cloud und die Place d’'Armes, 
sondern über den Boulevard de la Reine nach dem Bassin des 
Neptun, über dem dieser Gott mit seiner Gemahlin und allerlei 
grotesken Wasserungetümen thront. 1 Eine Strecke von da, an ganz 
einsamer Stelle treffen wir den Kanzler mit Hatzfeldt zu Pferde. 
Ein Schutzmann nirgends zu sehen. Wozu sind sie da? 
Bei Tische klagte Hatzfeldt, daß die Griechen, die gern fort- 
wollen, ihn mit Lamentieren geplagt hätten. „Ja — sagte der 
Chef —, die sind auch verdächtig. Müssen erst nach Signalement 
identifiziert werden; auch ist nachzusehen, ob an ihnen die Circum- 
cision vollzogen ist. Doch nein, die ist ja bei den Griechen nicht 
Gebrauch. — Aber bedenklicher noch als diese Diplomatenfamilie 
von 25 Personen ist mir der Wittgenstein, der mit Gefahr seines 
Lebens herauskommt unter dem Vorwande, Depeschen für mich zu 
haben, und, wie die Sache zur Sprache kommt, keine hat. Ob er 
sich vorstellt, daß wir solch Hin= und Herlaufen zwischen Paris und 
Kutusow zulassen?“" 
„Nun — erwiderte Hatzfeldt —, er könnte uns ja Nachrichten 
aus der Stadt bringen."“ 
Chef: „Da müßte er ein Charakter sein, der Vertrauen ein- 
flößt, und das ist er nicht."“ 
Die Rede wandte sich hierauf zu dem erschöpften Zustande der 
Stadt Versailles, die in den letzten beiden Wochen große Ausgaben 
gehabt hat, und deren neuer Maire, Herr Rameau, heute beim 
Chef Audienz erbeten und erlangt hatte. Dieser äußerte darüber: 
„Ich sagte ihm, man solle doch eine Anleihe aufnehmen. — Ja, 
  
1 An diesem Tage sprangen die berühmten Wasserkünste. Verdy, 202.
	        
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