302 Zehntes Kapitel 18. Oktober
Sonst drehte sich die Diskussion meist wieder einmal um Kuli-
narisches, wobei man sich merkte, daß der Kanzler mit Vorliebe
gutes Hammelfleisch, dann vom Rinde besonders gern das ißt, was
die Berliner „Brustkern“ nennen. Aus Filet und gebratnem Rind-
fleisch macht er sich nicht viel.
Abends heißt es, wir möchten unfre Koffer packen, und für
den Fall, daß diese Nacht alarmiert wird, sollen die Wagen sich
vor dem Quartier des Königs in der Präfektur zum Zuge ordnen. 1
Man erwartet schon seit gestern einen Ausfall.
Dienstag, den 18. Oktober. Die Nacht über nichts passiert.
Früh prächtiges Herbstwetter. Widerlegung der französischen Berichte,
nach denen unfre Truppen Orleans bombardiert haben sollen, ab-
gelassen. Heute ist Geburtstag des Kronprinzen, dem der Chef
und die Räte um zwölf Uhr gratulieren.? Man schickt uns eine
Nummer des Kraj ein, in der behauptet wird, der Minister
habe unlängst mit einem galizischen Edelmann ein Gespräch gehabt,
in dem er den Polen geraten habe, sich von Osterreich ab-
zuwenden. Ich erfahre auf Befragen, daß dies unwahr sei; er hat
seit langer Zeit mit keinem Galizier, ja überhaupt mit keinem Polen
gesprochen — „es müßte denn Podbielski sein.“ In der Presse
dementiert.
Der Chef frühstückt heute einmal mit uns, was in der letzten
Zeit selten geschehen war, und bemerkt dabei (wir wollen auch solche
kleine Züge nicht unverzeichnet lassen), daß er gern harte Eier mag,
daß er gegenwärtig aber nur noch drei auf sich nehmen kann,
während ers früher auf elf gebracht habe.“ Bohlen will einmal
fünfzehn Kiebitzeier vertilgt haben. „Ich schäme mich zu sagen,
was ich hierin geleistet habe,“ versetzt sein Vetter. Er empfiehlt
schließlich Delbrück, der demnächst wieder nach Berlin geht, sich für
die Reise mit harten Eiern zu versorgen, was dieser als mit seiner
Geschmacksrichtung unverträglich ablehnt.
Der Chef las dann einige von den besonders erbaulichen ge-
heimen Briefen an den Kaiser Napoleon vor, die jetzt die Provisorische
Regierung veröffentlicht hat, und gab Kommentare dazu, die auch
1 Abeken 430, vom 17. Oktober abends.
2 Abeken 430. Verdy 209. Roon III4, 237. Wilmowski 68, Kaiser
Friedrichs Tagebuch vom 18. Oktober.