20. Oktober Zehntes Kapitel 309
gesehen hiervon, noch das Interesse vollständiger Neuheit der ent—
wickelten Ansichten.
„Zunächst erklärt der Bundeskanzler die bisher vermutlich all—
seitig geteilte Meinung, daß die Maßregel auf Grund des Gesetzes
über den Belagerungszustand, respektive Kriegszustand, vom General—
gouverneur angeordnet worden sei, für einen Irrtum. Nach diesem
Gesetze, räumt er ein, würde die Maßregel unberechtigt sein, was
freilich auf der Hand liegt, dagegen könne er sie »im Gebiete
wirklicher Kriegführung nicht für unanwendbar halten.« Es handle
sich dabei nicht um ein Strafverfahren, sondern um »wirksame Be—
seitigung von Kräften, deren Hervortreten die Erreichung des Kriegs—
zweckes erschwere.«
„Wir vermögen in dieser Definition keinen andern Sinn zu
finden, als diesen: den Militärbehörden zu Hause stehen die näm—
lichen Befugnisse zu, wie den Militärpersonen in Feindesland. Wir
wüßten wenigstens nicht, welche weitere Grenze diesen gezogen
werden könnte, als die »wirksame Beseitigung von Kräften, deren
Hervortreten die Erreichung des Kriegszweckes erschwert.« Die Be-
urteilung, welche Kräfte und mit welchen Mitteln sie zu beseitigen
seien, ist im Feindeslande und überhaupt auf dem Schauplatze aktiver
Feindseligkeiten lediglich der Militärgewalt überlassen. Ihre Be—
fugnisse sind völlig uneingeschränkt. Hat die Militärgewalt in der
Heimat die nämliche Machtvollkommenheit, so gewinnt das Wort:
Inter arma silent leges eine ganz ungeahnte furchtbare Bedeutung.
Konsequenterweise wird alsdann sich nicht leugnen lassen, daß der
Generalgouverneur in Hannover geradeso wie sein Kollege in Nanch
ohne weiteres standrechtliche Erschießungen verhängen kann. Auch
scheint der Bundeskanzler, wenngleich er diese äußerste Folgerung
nicht zieht, ausdrücklich darauf hinleiten zu wollen. Er zählt eine
Reihe von höchst unangenehmen Operationen auf, zu denen die
Staatsgewalt auf dem Kriegsschauplatze berechtigt ist, als Ver-
brennen von Häusern, Wegnahme von Privateigentum, Unschädlich-
machung bloß verdächtiger Personen u. s. w., und er fügt hinzu,
daß der diesen Ausnahmerechten zu Grunde liegende Rechtsgedanke
von der Ortlichkeit unabhängig sei, uunabhängig von der räumlichen
Entfernung, in der die augenfälligern unter den Kriegshandlungen
vor sich gehen. Das ist deutlich genug.