6 Erstes Kapitel 27. Februar
Heide namhaft mache, der, ehedem Missionar in Australien, damals
für die zur Beeinflussung der englischen Presse gegründete North
German Correspondence arbeitete.
Rechne ich dazu das Durchlesen der sich täglich dreimal auf
meinem Pulte häufenden deutschen, österreichischen, englischen
und französischen Zeitungen und die Verwaltung und Vermehrung
der Handbibliothek des Ministeriums, die mir ebenfalls oblag, so
gab es während der Anwesenheit des Kanzlers in Berlin für mich
mehr als reichlich zu thun. Ich war nicht bloß die Wochentage,
sondern auch des Sonntags von früh neun bis nachmittags drei
Uhr und dann wieder von fünf bis zehn, zuweilen bis elf Uhr an
meinem Pulte, und mehrmals kam es vor, daß ich noch kurz vor
der Mitternachtsstunde von einem Kanzleidiener aus einer Abend-
gesellschaft oder aus dem Bette herausgeklingelt und in einer Droschke
entführt wurde, um vom Kanzler Befehle zu empfangen, die dringender
Natur waren.
Ich lasse nun eine Anzahl mehr oder minder charakteristischer
Informationen, Anweisungen und sonstiger Außerungen des Ministers,
die mit dieser meiner Thätigkeit im Zusammenhange standen, in der
Gestalt, wie sie mein Tagebuch wiedergiebt, folgen. Sie werden
zeigen, daß der Staatsmann, dem ich zu dienen die Ehre hatte,
auch das Handwerk des Journalisten aus dem Grunde verstand,
und sie werden hier und da auch auf politische Vorgänge der da-
maligen Zeit dankenswertes Licht werfen.
In die Tage, an denen die obenerwähnte Reichstagsdebatte
über den Anschluß Badens an den Norddeutschen Bund in den
Zeitungen und ebenso im Gemüte des Kanzlers noch fortwirkte,
fallen die zunächst folgenden Einträge in meine Notizensammlung.
27. Februar, abends. Zum Minister hinaufgerufen. Soll
„den Unverstand, der in der neulichen Reichstagssitzung auf seiten
der Nationalen zu Tage getreten, und der von ihren Blättern ver-
breitet wird,“ noch mehr ins Licht stellen. „Die Nationalliberalen
sind keine einheitliche Partei, sondern zwei Fraktionen. Verständig
sind von den Führern Bennigsen und Forckenbeck, vielleicht noch
ein paar andre. Miquel zeigt Neigung für das Theatralische. Löwe
mit seiner Bruststimme macht Effekt, Sachliches hat er nicht vor-
gebracht. Lasker ist Redner mit zersetzendem Wesen, kein Politiker.