Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

344 Elftes Kapitel 2. November 
Diese Nacht arbeitete die französische Artillerie wieder sehr 
eifrig, und namentlich in der Geisterstunde machte sie mit rasch auf— 
einander folgenden Schüssen starken Lärm. Die nächtlichen Ruhe— 
störer sollten der Mont Valérien und die Kanonenboote auf der 
Seine sein. 
Mittwoch, den 2. November. Der Chef ist, wie Engel 
sagt, vorige Nacht bei dem heftigen Schießen aufgestanden, was indes 
auch ohne solche Veranlassung fast jede Nacht und zuweilen mehr- 
mals geschieht. Ich mache früh vor neun Uhr einen Ausflug durch 
Montreuil hinaus auf die Straße nach Sevres bis zu dem Eisen- 
bahnviadukt mit den vier Säulen, der die Straße in Viroflay über- 
brückt. Inzwischen hat der Minister, noch im Bett liegend, mich 
sprechen wollen. Als ich um zehn Uhr komme, ist der Generalstabs- 
offizier Bronsart von Schellendorf bei ihm, der ihn zum König ab- 
holen will. Als er zurückkehrt, läßt er mich nach Berlin und London 
telegraphieren, daß Thiers gestern drei Stunden bei ihm gewesen 
sei, daß der Inhalt dieser Unterredung heute vormittag der Gegen- 
stand einer militärischen Beratung beim Könige gewesen sei, der 
er ebenfalls beigewohnt habe, 1 und daß Thiers diesen Nachmittag 
wieder zu ihm kommen werde. Um zwei Uhr sehe ich ihn unten 
auf der Hausflur. Es ist ein Mann unter Mittelgröße, grauhaarig, 
ohne Bart, ein kluges Gesicht, bei dem man an einen Kaufmann, 
aber auch an einen Professor denken kann. 2 
Da er vermutlich wieder lange bleiben wird und es für mich 
nichts zu thun giebt, wiederhole ich meinen Ausflug vom Morgen 
und gelange über die Dörfer Montreuil, Viroflay und Chaville, 
von denen die beiden letzten fast eine einzige zusammenhängende 
Gasse von einer Stunde Länge bilden, nach dem ebenfalls lang- 
gestreckten, sich an Chaville anschließenden Sevres, von wo ich nach 
der großen Batterie oder Schanze rechts über dem Orte hinauf will, 
aber von der Wache an der Stelle, wo die Straße sich gabelt, nicht 
weiter gelassen werde. Auch kein Offizier dürfe hier ohne besondre 
  
1 K. Friedrichs Tagebuch vom 2. November: „Vortrag Bismarcks über die 
Unterhandlungen mit Thiers.“ 
*? Abeken S. 445 vom 2. November abends: „Ich sah heute Thiers vom 
Garten aus durchs Fenster; er ist ein feiner, kluger, echt französischer, ja alt- 
französischer Kopf.“
	        
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