Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

362 Elftes Kapitel 6. November 
der Hinausschiebung eines Angriffs Frankreichs betriebnen Verhand— 
lungen nach dem Mißlingen des Versuchs mit Luxemburg mit der 
Beschränkung auf Belgien wieder angeknüpft hat. Die Haltung 
Frankreichs zur Zeit des Streites über die belgischen Eisenbahnen 
wird es nach dem Obigen nicht unglaublich erscheinen lassen, daß 
es selbst damals noch nicht auf die Hoffnung verzichtet hatte, für 
sein Lieblingsprojekt die Zustimmung Norddeutschlands zu gewinnen. 
* 
H 
Wir kehren nun wieder in das Jahr 1870 und zu den Aus— 
zügen aus der Chronik unsres Versailler Lebens zurück. 
Sonntag, den 6. November. Früh hört man, daß einer 
der Luftballons, die in diesen Tagen über die Stadt hinflogen, in 
der Nähe von Chartres unsern Husaren in die Hände gefallen ist. 
Die Soldaten hatten ihn angeschossen, sodaß er sank. Die beiden 
Luftschiffer, die in der Gondel saßen, sind gefangen genommen 
worden, die Briefe und Papiere, die man konfisziert hat, sollen 
uns zur Durchsicht übersandt werden. — Ich erfahre, daß Bucher 
vom Chef vor allem zur Bearbeitung der deutschen Frage her- 
berufen ist; er hat aber wenig zu thun, da Delbrück einen großen 
Teil dieses Zweigs der Geschäfte an sich genommen hat. Der 
Chef streicht jenem, wie Bölsing sagt, in seinen Elaboraten selten 
etwas aus, wogegen von Abekens Konzepten oft kaum ein Drittel 
stehen bleibt. 
Um drei Uhr kommt Thiers wieder, und ich benutze die Ge- 
legenheit zu einem Ausflug zu den Offizieren vom 46. Regimente, 
die jetzt in Grand Chesnay ihr Quartier haben. Die Herren sind 
sehr lustig, treiben allerlei Scherz und Possen, während jeden 
Augenblick das Alarmsignal zum Gefecht rufen kann. Als ich 
zurückkomme, sagt man mir, daß Thiers nur ungefähr eine halbe 
Stunde mit dem Kanzler verhandelt habe und mit niedergeschlagner 
Miene abgefahren sei, wie es hieße, um nicht wiederzukommen. 
Bei Tische waren Graf Lehndorff und ein Husarenoffizier zu- 
gegen, von dem ich später erfuhr, daß er ein Graf Schröter war. 
Der Chef erzählte, daß „Johanna“ (seine Gemahlin) an ihn ge- 
schrieben habe, und las eine Stelle aus ihrem Briefe vor, in der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.