368 Elftes Kapitel 9. November
Vor Tische besuchte ich wieder Haber und seine Leutnants, die
jetzt in einem Schlößchen an der Straße bei Chesnay einquartiert
waren, das dem bekannten Pariser Arzt Dr. Ricord gehörte. Man
war so lustig und zum Scherz aufgelegt wie früher, und die Sehn-
sucht nach Beginn des Bombardements war auch noch vorhanden.
Dazu aber hatte sich das Gerücht eingestellt, daß hochstehende
Damen — einer der Herren wollte wissen, die Königin von Eng-
land — gegen solch energisches Vorgehn wirkten.
Abends einen Brief des Herzogs von Koburg an seine Ge-
mahlin gelesen, der aus der Koburger Zeitung in das Frankfurter
Journal übergegangen ist. Es heißt darin: „Vorgestern (es ist
der Ausfall vom 21. Oktober gemeint) hatten wir ein sehr ernst-
haftes Gefecht; alles war ausgerückt; unfre tapfern Truppen haben
den weit überlegnen Feind zurückgeworfen. Leider konnten wir
gar keine Artillerie entwickeln, da wir im dichten Walde stehen und
mit Feldgeschützen nichts ausrichten können gegen die Geschütze des
Forts, die uns mit Projektilen aller Art überschütteten.“ Wir und
uns — ich hoffe, daß dies die Leser der Koburger Zeitung nicht
geängstigt hat. Der Herzog war nicht in Schußweite, er war es
während dieses Krieges überhaupt niemals.
Mittwoch, den 9. November. Trüber, wolkiger Tag. Ich
schrieb einen Artikel. Dann wurden wie gewöhnlich Zeitungen ge-
lesen, angestrichen und ausgezogen. Dabei stieß ich in der Kölnerin
vom 5. d. M. auf ein anmutiges Seitenstück zu dem Diktum: „Der
Zahn der Zeit hat die Mauer mit Moos bevölkert.“ Ein Liebhaber
von Bildern schrieb: „Das große Grab bei Sedan, dessen graue
Lippen sich donnernd über der Größe Frankreichs schlossen.“ Well
roared, lion!
Der Minister wünscht, daß ich mich nach den Antecedentien
eines Amerikaners O'Sullivan erkundige, der sich hier unnütz mache
und verdächtig erscheine. Ich werde zunächst L. fragen, der bei
Fragen über hiesige Persönlichkeiten nicht leicht versagt. Mittags
erhielten wir die Nachricht, daß gestern die Festung Verdun kapi-
tuliert hat.
Beim Diner waren Delbrück, General Chauvin und Oberst
Meydam, der Chef der Feldtelegraphie, Gäste des Chefs. Man
sprach zunächst von dem unzulässigen Gebrauche, den vornehme