402 Elftes Kapitel 15. November
Am Abend vor dem Tage, wo der Wohlfahrtsausschuß zu—
sammentrat, begab ich mich gegen fünf Uhr auf den Platz vor dem
Stadthause, um ein wenig frische Luft zu schöpfen und mir Be—
wegung zu machen. Da sah ich, von einer beträchtlichen Menge
Menschen umgeben, einen wütenden Schreihals, der, indem er nach
der Kathedrale hinwies, die Leute gegen die Geistlichkeit aufhetzte.
Dort ist der Feind — sagte er —, der Feind sind nicht die Preußen;
die Kirchen sinds, die Priester und die Jesuiten sinds, sie, die unfre
Kinder demoralisieren und verdummen. Man muß die Kathedrale
niederreißen und zerstören, um einen Straßendamm daraus zu machen.«
Heute ist alles ruhig, dank den Kanonen und Truppen (Mobilen und
Nationalgardisten), die die ganze Linie der Champs-Elysées und der
Tuilerien besetzt haben.
Welch ein Krieg, mein lieber Joseph! Es giebt in der Welt-
geschichte kein Beispiel eines ähnlichen Ereignisses; denn Cäsar hat
auf die Eroberung Galliens im Zustande der Barbarei sieben Jahre
verwandt, und wir sind binnen drei Monaten mit Krieg überzogen
und zu Grunde gerichtet worden!
Mit der kaiserlichen Familie scheint es für immer aus zu sein.
Da wirds eine Partei weniger geben — und vielleicht wird das uns
zum Vorteil gereichen.
Bis jetzt bin ich noch nicht genötigt gewesen, Pferdefleisch zu
essen, aber das Rindfleisch ist von einer beklagenswerten Härte, und
das Büffelfleisch, das aus dem Botanischen Garten kommt, und das
mir neulich aufgetragen wurde, taugt wenig mehr. Ich bin hier
ganz allein, was nicht vergnügt stimmt, aber dank der Musik und
der Lektüre, denen ich mich in reichlichem Maße widme, langweile
ich mich niemals.
Wenn es einen Waffenstillstand giebt, und du mir schreiben
kannst, so unterlaß das nicht; denn es liegt mir viel daran, deine
Meinung über alles zu erfahren, was sich begiebt. Ich möchte dich
auch den Namen eines französischen Diplomaten wieder ein wenig
zu Ehren bringen sehen, der heutigestags zur Lächerlichkeit ge-
worden ist.“