446 Dreizehntes Kapitel 29. November
lich französisch wäre? Goethe spräche von einer Höflichkeit des
Herzens.“) Es müsse wohl aus dem Deutschen stammen.
„Ja, ganz gewiß stammt es daher,“ erwiderte der Chef. „Das
findet sich nur bei den Deutschen. Ich möchte es die Höflichkeit
des Wohlwollens, der Gutmütigkeit im besten Sinne nennen —
die Höflichkeit der hilfreichen Gesinnung. Sie treffen das auch bei
unsern gemeinen Soldaten, wo es freilich mitunter plump ausfällt.
Die Franzosen haben es nicht, die kennen nur die Höflichkeit des
Hasses und des Neides.“ Bei den Engländern fände man eher
der Art, fuhr er fort. Er lobte darauf Odo Russell, dessen nettes,
natürliches Wesen ihm sehr gefalle. „Nur eins erweckte anfangs
in mir einiges Bedenken gegen ihn. Ich habe immer gehört und
gefunden, daß die Engländer, die gut französisch können, nicht viel
taugen, und der spricht ein ganz vortreffliches Französisch. Indes
weiß er sich auch recht gut deutsch auszudrücken.“
Beim Dessert bemerkte er: „Ich sehe, ich esse zu viel oder
richtiger, zu viel auf einmal. Daß ich mich nicht von dem Unsinn
los machen kann, nur einmal des Tages zu essen! Früher wars
noch schlimmer. Da trank ich früh nur meinen Thee und aß bis
fünf Uhr abends gar nichts, rauchte aber in einem fort, und das
hat mir sehr geschadet. Jetzt genieße ich früh auf den Rat der
Ärzte wenigstens zwei Eier und rauche wenig. Ich sollte aber mehr—
mals essen. Nehme ich jedoch spät noch was, so kann ich wieder
nicht schlafen, da ich bloß wachend verdaue.“ — „Diesen Morgen
bin ich übrigens zeitig auf gewesen. Gerade um die Zeit von
sieben bis neun Uhr, wo ich am besten schlafe, weckte mich das
Schießen, und da es ziemlich nahe zu sein schien, schickte ich fort,
um mich zu erkundigen, ob der König hinginge. Sonst ist der
plötzlich fort, man weiß nicht, wohin, und wo es was zu sehen giebt.“!1
Abends mußte ich die Schlacht und unsern Sieg bei Beaune
noch einmal telegraphieren, und zwar als Vereitelung des Versuchs
*) In Ottiliens Tagebuch (Wahlverwandtschaften) heißt es: „Es giebt eine
Höflichkeit des Herzens, sie ist der Liebe verwandt, aus ihr entspringt die be-
quemste Höflichkeit des äußern Betragens.“ Früher, in Sternes „Empfindsamer
Reise“ schon „die politesse du coeur,“ die „die Menschen mehr zu menschlichen
als zu höflichen Handlungen bereit macht.“
1 Vgl. Abeken 456, vom 29. November morgens.