Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

448 Dreizehntes Kapitel 29. November 
wirbel. Beim zweiten sollte alles zu Ende sein. Die Bahre stand 
bereit, das Grab war fertig. Es war ein grausiger Augenblick. Da 
trat in dem Moment, wo das letzte Signal gegeben werden sollte, 
Herr de Keratry hervor, befahl einzuhalten und sagte dann (es geht 
hier wirklich wie in einem Melodram zu) mit volltönender Stimme: 
»Offiziere und Soldaten des Heeres der Bretagne! Einer der Unsrigen, 
der sich eines Vergehens gegen die Subordination schuldig gemacht 
hat, ist vom Kriegsgerichte zum Tode verurteilt worden; ich lasse 
ihm Gnade zu teil werden, künftig aber wird jeder Verstoß gegen 
die Disziplin rücksichtslos bestraft werden. Ich hoffe, daß das Beispiel, 
das euch vorgeführt worden ist, genügen wird, um jedweden Un— 
gehorsam gegen die Kriegsartikel und die Befehle der Vorgesetzten 
zu verhindern, und daß ihr mich für meine Milde mit einer Manns- 
zucht ohnegleichen belohnen werdet. Um Gerechtigkeit gegen alle 
zu üben, hebe ich auch alle andern Strafurteile auf.% Diese Rede 
wurde mit unermeßlichen Akklamationen und den Rufen: -Es lebe 
Kératryle (wieder ganz wie im Theater) aufgenommen. Die Offiziere 
des Generalstabs, die die Begnadigung beantragt hatten, waren tief 
gerührt. Alle Truppen marschierten dann an dem Oberfeldherrn 
vorüber, und obwohl ihnen befohlen war, sich ruhig zu verhalten, 
riefen alle nochmals: „Es lebe Kératry.# Des Abends sprachen 
die Generalstabsoffiziere dem Grafen ihren Dank aus. Sein Gnaden- 
akt hat auf die Truppen einen tiefen Eindruck gemacht. Er wird, 
wie ich hoffe, ein noch unerschütterliches Vertrauen auf ihn zur 
Folge haben.“ — Das lächerlich komödiantenhafte Wesen der gegen- 
wärtigen französischen Gewalthaber kann nicht besser charakterisiert 
werden, als durch Wiedergabe dieses Aktes, und die braven fran- 
zösischen Soldaten sind zu bedauern, daß sie für solche Theater- 
helden und die Fortdauer ihrer Herrschaft kämpfen müssen. Ich 
verzeichne noch, daß der Chef an den Rand des Zeitungsberichts 
über diese Komödie im Lager von Conlie die Worte: „Eitler Narr!" 
geschrieben hat. 
Nur als ein Beispiel, wie unfre Diener in betreff der Ver- 
zögerung des Bombardements gestimmt sein mögen, und als Probe 
der Ausdrucksweise der Mythen, die sich in diesen Kreisen bilden, 
verzeichne ich folgendes. Als ich heute das letzte mal aus der Etage 
des Chefs die Wendeltreppe nach meiner Stube hinaufstieg, rief
	        
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