Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

474 Dreizehntes Kapitel 4. Dezember 
„VWas sagten Sie?“ fragte ich. „Sie meinen, Roggenbach 
Minister bei uns?“ 
„Nein nein, Keudell, der in gewissen Kreisen als der zukünf— 
tige Minister und Kanzler gilt,“ erwiderte Bucher. 
Es werden, denke ich, Kreise sein, die auch für möglich halten, 
daß die Sonne einmal im Westen aufgeht. 
Es wurde Schweizerkäse herumgereicht, und jemand warf die 
Frage auf, ob Käse zum Wein passe. „Gewisse Sorten zu gewissen 
Weinen,“ entschied der Minister. „Scharfe Käse wie Gorgonzola 
und Holländer nicht. Aber andre wohl. Ich erinnere mich, daß 
in der Zeit, wo in Pommern tüchtig getrunken wurde, vor zwei— 
hundert Jahren oder länger — da waren die Ramminer die, die 
am schärfsten tranken. Da hatte einmal einer von Stettin Wein 
bekommen, der ihm nicht schmecken wollte. Er schrieb dem Kauf— 
mann deswegen. Der aber schrieb ihm zurück: Eet Kees to Win, 
Herr von Rammin, denn smeckt de Win wie in Stettin ook to 
Rammin.“ 
Löwinsohn erzählte, als er um acht Uhr kam, um sich Notizen 
zu holen, der Gesandte von der Goltz habe ihm 1866 gesagt, daß 
er nach Königgrätz einen Kurier in das preußische Hauptquartier 
abgefertigt habe mit der Nachricht, der Kaiser Napoleon habe nichts 
gegen die Annexion Sachsens einzuwenden, der Bote sei aber damit 
einige Stunden zu spät eingetroffen. (Die Sache verhielt sich be- 
kanntlich anders.) 
Ich veranlaßte Löwinsohn dann, in einem Artikel in der Köl- 
nischen Zeitung sich über die hier herrschende Auffassung des bayrischen 
Vertrags zu verbreiten. Es wäre darin etwa zu sagen: Zunächst 
könne man Bayern unmöglich wie Sachsen 1866 die Bedingungen 
seines Eintritts in den Bund mit dem übrigen Deutschlands dik- 
tieren; denn es sei nicht Besiegter, sondern Mitsieger. Wie man 
es schon im Frieden nicht habe zwingen wollen, so könne man es 
jetzt, wo es, gleichviel, aus welchen Gründen, jedenfalls mit im 
Hinblick auf die Erhaltung seiner Selbständigkeit bis zu einem ge- 
wissen billigen Maße, an unfrer Seite gefochten habe, noch weniger 
mit Zwang bedrohen. Endlich aber, wenn der Reichstag an den 
Verträgen ändere, so könnten die Landtage Süddeutschlands das 
ihnen Unbequeme wieder herauskorrigieren, und so nähme das Ver-
	        
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