Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

476 Dreizehntes Kapitel 4. Dezember 
wir denken.“ — „Wenigstens muß nicht unhöflich, sondern freundlich 
und wohlwollend geschrieben werden. Es ist aber besser, es bleibt 
ganz.“ — „Wenn es England wäre! Aber wir brauchen Rußland 
noch die nächste Zeit. Haben wir sie nicht mehr nötig, so können 
wir grob sein.“!1 
Bohlen sagte: „In Berlin sind sie ganz außer sich. Das wird 
morgen einen schönen Spektakel geben mit dem „Kaiserc; sie wollen 
illuminieren und treffen schon großartige Anstalten — ein wahres 
Zauberfest." 
„Ja — erwiderte der Chef —, das wird, denk ich, auch gute 
Wirkung auf den Reichstag haben. Es war übrigens doch sehr 
hübsch von Roggenbach, daß er gleich bereit war, nach Berlin zu 
gehn.“ [Um den Ungenügsamen unter den Abgeordneten Mäßigung 
zu predigen.] „Die (Reichstagsabgeordneten oder die Berliner?) 
legen viel mehr Gewicht darauf, als der Kaisertitel hat, womit nicht 
gesagt sein soll, daß er keinen Wert hätte." 
„Der König von Bayern — ich wußte, daß er mir nicht traute. 
So schrieb ich ihm zuletzt in dem Briefe, daß wir Güter besäßen, 
die unfrer Familie von Ludwig dem Bayern als Herrn von Branden- 
burg verliehen worden, und daß wir folglich seit länger als fünf 
Jahrhunderten zu seinem Hause in Beziehung stünden, was insofern 
auch wahr ist, als wir die Güter, die wir jetzt besitzen, für die er- 
halten haben, die die Hohenzollern uns genommen hatten. Das 
müßte ihm sehr gefallen haben, sagte Holnstein; denn er hatte den 
Brief noch einmal zu lesen verlangt.“? — „Dieser Holnstein hat 
übrigens bei der Geschichte das Meiste gethan; er hat seine Sache 
recht geschickt gemacht. — Sag mal (zu Bohlen), welchen Orden 
könnte man ihm geben?“ 
Bohlen: „Ach, der hat schon die erste Klasse des roten Vogels 
gekriegt, wie der Kronprinz in München war.“ 
Chef: „Nun ja, da hat er freilich schon das Höchste, was er 
bekommen kann.“ 
„Der König (Wilhelm) hat übrigens gar nicht recht gewußt, 
um was es sich handelte, als er sich bei ihm gemeldet hat. Ich 
  
1 Vgl. G. u. E. II, 104 f. 
2 Gemeint ist der Brief vom 27. November, s. G. u. E. I, 353. II, 118.
	        
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