Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

546 Fünfzehntes Kapitel 19. Dezember 
träge von Versailles gut geheißen, was manchem sehr schwer ge— 
fallen sein wird. Das ist doch anzuerkennen. Nein, ich kann nicht 
so urteilen. Ich bin bloß über Delbrück ärgerlich, der mir Angst 
machte, sie würden nicht darauf eingehen.“ 
Der Geheimrat kam dann auf die Vorgänge, die in Ems kurz 
vor Ausbruch des Krieges stattgefunden hatten, und erzählte, der 
König habe nach einer gewissen Depesche geäußert: „Na, nun wird 
auch er (Bismarch) mit uns zufrieden sein,“ „und ich glaube — setzte 
Abeken hinzu —, daß Sie zufrieden waren.“ 
„Na — erwiderte der Kanzler lächelnd —, da dürften Sie sich 
denn doch täuschen. Das heißt, ja, mit Ihnen, sehr. Mit Sere- 
nissimus aber gar nicht sehr, oder durchaus nicht. Er hätte sich 
in der Sache viel zurückhaltender betragen müssen — und fester.“ — 
„Ubrigens besinne ich mich — fuhr er fort —, wie ich in Varzin 
die Nachricht bekam. Ich war gerade ausgefahren, und wie ich 
zurückkam, fand ich das erste Telegramm. Wie ich dann abreiste, 
mußte ich bei unserm Pastor vorbei — in Wussow. Der stand 
gerade vor seinem Thorwege und grüßte. Ich sagte gar nichts zu 
ihm und machte es bloß so (Bewegung eines Kreuzhiebes) — ein- 
hauen. Er verstand mich, und ich fuhr weiter.“ 1 Er erzählte dann 
von den Schwankungen der Sache bis zu der Wendung, auf die 
dann die Kriegserklärung gefolgt sei. „In Berlin dachte ich wieder 
ein Telegramm vorzufinden, Antwort auf meines; aber es war 
noch nichts da. Inzwischen lud ich mir Moltke und Roon für den 
Abend zum Essen ein und zu einer Besprechung über den Stand 
der Dinge, der mir immer mehr Bedenken erweckt hatte. Da wurde 
das lange neue Telegramm (Emser Depesche) hereingebracht. Als 
ichs vorlas — es waren wohl zweihundert Worte —, erschraken 
die beiden förmlich, und Moltke kriegte plötzlich ein ganz andres 
Wesen, ganz alt, matt und gebrechlich. Es sah aus, als ob Sere- 
nissimus noch immer kneifen könnte. Ich fragte ihn, ob alles so 
stünde, daß wir auf den Sieg hoffen könnten. Als ers bejahte, 
sagte ich: Warten Sie mal, setzte mich an ein Tischchen und strich 
es zusammen, die zweihundert Worte zu ungefähr zwanzig, aber 
ohne sonst was zu ändern oder hinzuzufügen. Es war Abekens 
  
1 Vgl. G. u. E. II, 84.
	        
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