20. Dezember Fünfzehntes Kapitel 553
Quartiere der Stadt zu überschwemmen. Die Katakomben gehen
ja unter der Seine weg.“
Bucher bestätigte dies, er sei in den Katakomben gewesen und
habe da an verschiednen Stellen Seitengänge bemerkt, in die man
aber niemand hineingelassen habe.
Dann äußerte der Chef, wenn Paris jetzt genommen würde,
so müßte das auch auf die Stimmung in Bayern wirken, von wo
die Nachrichten wieder einmal nicht gut lauteten. Bray sei zwei-
deutig, habe kein deutsches Interesse, neige zu den Ultramontanen
hin, habe eine Neapolitanerin zur Frau, fühle sich am wohlsten
in seinen Erinnerungen an Wien, wo er lange gelebt habe, und
scheine eine Wendung machen zu wollen.
„Der Beste in den obern Regionen ist noch immer der König
— sagte er zuletzt —, aber der ist, wie es scheint, kränklich, phan-
tastisch, und wer weiß, was noch geschieht."
„Ja — versetzte der Kronprinz —, was war der früher
hübsch und frisch, ein wenig zu schlank aufgeschossen, aber sonst
das Ideal eines jungen Mannes, und jetzt hat er eine gelbe Ge-
sichtsfarbe und ein ältliches Aussehen, sodaß ich mich über ihn ver-
wunderte.“!
„Ich sah ihn — bemerkte der Kanzler — zuletzt 1863, wie
der Fürstentag war, in Nymphenburg bei seiner Mutter. Da hatte
er schon einen eignen Blick der Augen. Und ich entsinne mich, bei
Tafel — das eine mal trank er gar keinen Wein, dann wieder acht
bis zehn Gläser, und nicht etwa nach und nach, sondern hastig, ein
ganzes auf einmal, sodaß der Jäger zögerte, wieder einzuschenken.“2
Das Gespräch wandte sich hiernach dem bayrischen Prinzen Karl
zu, der als sehr preußenfeindlich, aber als zu alt und gebrechlich
geschildert wurde, um sehr gefährlich für die deutsche Sache zu sein
„Er trägt sehr wenig Natur mehr an sich,“ wurde bemerkt.
1 Es ist dieselbe Beobachtung, die der Kronprinz in seinem Tagebuche vom
27. Juli in die Worte zusammenfaßt: „König Ludwig auffallend verändert, seine
Schönheit hat sehr abgenommen, er hat die Vorderzähne verloren, bleich, nervös
unruhig im Sprechen, wartet die Antwort auf die Frage nicht ab, sondern stellt
schon, während man antwortet, weit andre Dinge betreffende Fragen.“
2: G. u. E. I, 351 f. Poschinger, Bismarck und die Parlamentarier
III, 214.