Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

560 Fünfzehntes Kapitel 21. Dezember 
er von seinem Eltervater, der, wenn ich recht verstand, bei Czaslau 
gefallen war. „Die alten Leute bei uns haben ihn — so berichtete 
er — meinem Vater oft noch beschrieben. Er war ein gewaltiger 
Jäger vor dem Herrn und ein starker Zecher. Er hat einmal in 
einem Jahre hundertundvierundfünfzig Rothirsche geschossen, was ihm 
der Prinz Friedrich Karl nicht nachthun wird, aber vielleicht der 
Herzog von Dessau.“ — „Ich besinne mich, daß mir erzählt wurde, 
wie er in Gollnow stand, da aßen die Offiziere zusammen, die Küche 
führte der Oberst. Da wars Mode, daß bei Tische fünf bis sechs 
Dragoner aufmarschierten auf dem Musikantenplatze, die schossen zu 
den Toasten aus ihren Karabinern. Es waren da überhaupt selt— 
same Sitten. So z. B. hatten sie statt der Latten einen hölzernen 
Esel mit scharfen Kanten, auf dem mußten die Dragoner, die sich 
was hatten zu schulden kommen lassen, sitzen — ein paar Stunden 
oft, eine sehr schmerzhafte Strafe. Und allemal am Geburtstage 
des Obersten und andrer, da zogen sie nach der Brücke und warfen 
den Esel hinein; es kam aber immer ein neuer. Sie hätten wohl 
hundertmal einen neuen gehabt, sagte die Bürgermeisterin (Name 
nicht recht verständlich, es klang wie Dalmer) meinem Vater.“ — 
„Dieser Eltervater — ich habe sein Bild in Berlin — ich sehe ihm 
wie aus den Augen geschnitten aus; d. h. wie ich jung war, da 
wars, wie wenn ich mich im Spiegel sähe.“ 
So unterhielt man sich weiter von alten Geschichten und Per— 
sönlichkeiten und zuletzt davon, daß mancherlei aus früherer Zeit 
in die Gegenwart besonders des Volkes auf dem Lande hinein— 
rage. Dabei wurde das Kinderlied: „Flieg, Maikäfer flieg“ er- 
wähnt, das mit dem „abgebrannten Pommerland“ wohl an den 
Dreißigjährigen Krieg erinnere. 
„Ja — sagte der Chef —, ich weiß, daß früher bei uns 
Redensarten vorkamen, die offenbar bis in den Anfang des vorigen 
Jahrhunderts zurückreichten. So sagte mein Vater, wenn ich gut 
ritt: 2 Er machts ja wier (Name nicht recht deutlich, es klang wie 
Pluvenel). Er nannte mich nämlich damals immer Er. Pluvenel 
aber war ein Stallmeister Ludwigs XIV. gewesen und ein berühmter 
Reiter.“ — „Und wenn ich gut geschrieben hatte, sagte er: »Er 
schreibt ja, als ob Ers bei Hilmar Curas gelernt hätte.“ Das war 
der Schreiblehrer Friedrichs des Großen gewesen.“
	        
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