Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

23. Dezember Fünfzehntes Kapitel 571 
haftung Bebels und Liebknechts zu fürchten hätte, ob das viel Auf— 
regung hervorrufen würde? 
„Nein — erwiderte der Chef —, davon ist nichts zu befürchten.“ 
Lehndorff: „Aber Jacoby, da gabs doch viel Lärm und Geschrei." 
Chef: „Jude — und Königsberger. Fassen Sie nur einen 
Juden an, da schreits gleich in allen Ecken und Winkeln — oder 
einen Freimaurer. Und dann kam hinzu, daß sie gegen eine Volks- 
versammlung einschritten, was nicht gerechtfertigt war." 
Er charakterisierte dann die Königsberger als immer oppositionell 
und krakehlerisch. 
„Ja, Königsberg — sagte Lehndorff —, das hat Manteuffel 
verstanden, wenn er in seiner Aussprache meinte: „ Königsberg bleibt 
Königsberg.“ 
Jemand erwähnte hierauf, daß man Briefe an Favre mit Mon- 
sieur le Ministre anfinge, worauf der Chef äußerte: „Ich werde 
nächstens an ihn schreiben: Hochwohlgeborner Herr." 
Daraus entspann sich eine byzantinische Disputation über 
Titulaturen und die Anreden Exzellenz, Hochwohlgeboren und Wohl- 
geboren. Der Kanzler vertrat dabei entschieden antibyzantinische 
Ansichten und Absichten. „Man sollte das ganz weglassen,“ sagte 
er. „In Privatbriefen brauche ichs auch nicht mehr, und amtlich 
gebe ich das Hochwohlgeboren den Räten bis zur dritten Klasse." 
Pfuel bemerkte, im Gerichtsstil ließe man die großen Anreden 
ja auch weg, da hieße es einfach und ohne Titel: „Sie haben sich 
an dem und dem und da und da einzufinden.“ 
„Ja — entgegnete der Minister —, aber Ihre juristischen An- 
reden sind doch auch nicht gerade mein Ideal. Da fehlt bloß noch, 
daß es heißt: Sie Lumpenhund haben u. s. w.“ 
Abeken als Byzantiner reinsten Wassers meinte, die Diplomaten 
hätten es schon übel vermerkt, daß man ihnen bisweilen ihre Titu- 
laturen nicht ganz hätte zu teil werden lassen, und das Hochwohl- 
geboren gebühre nur den Räten zweiter Klasse. 
„Und den Leutnants,“ rief Graf Bismarck-Bohlen. 
„Ich wills aber ganz abschaffen bei unsern Leuten,“ erwiderte 
der Minister. „Es wird damit im Jahr ein Meer von Tinte ver- 
schrieben, worüber sich die Steuerzahler mit Recht als über eine 
Verschwendung beklagen können. Mir ists ganz recht, wenn man
	        
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