Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

24. Dezember Fünfzehntes Kapitel 573 
die Genfer Konvention verletzt worden. Daß wir Zwangsmaßregeln 
gegen renitente Ortschaften angewandt und das Wiedervergeltungs- 
recht zum Zwecke der Verhütung weiterer Verletzungen des Völker- 
rechts und der Menschlichkeit geübt haben, war in der Ordnung und 
nicht wider die Abrede. Dahin gehört auch, daß wir in diesen 
Tagen Granaten nach Tours hineingeworfen haben, wo die Ein- 
wohnerschaft unfre Truppen mit Feindseligkeiten empfing, und daß 
von uns die Eisenbahnbrücke bei dieser Stadt zerstört worden ist, 
was der Chef mich noch kurz vor Mitternacht telegraphieren ließ. 
Es ist eben Krieg, was die Franzosen in diesem Falle, wo es 
ihnen an die Haut geht, noch heute nicht ganz begreifen zu können 
scheinen. Anderswo, in Algier, im Kirchenstaat, in China, in 
Mexiko zum Beispiel, begriffen sies schneller. 
Sonnabend, den 24. Dezember. Weihnachtsabend in der 
Fremde! Es ist sehr kalt, wie gestern und vorgestern. Ich tele- 
graphiere, daß Manteuffel gestern mit zwei Divisionen Faidherbe, 
den General der auf sechzigtausend Mann veranschlagten französischen 
Nordarmee, geschlagen und zum Rückzuge gezwungen hat.1 
Beim Frühstück erzählte Bucher, daß man ihm aus Berlin ge- 
schrieben habe, die Königin und die Kronprinzessin seien dort wegen 
ihrer Intervention für Paris in weiten Kreisen sehr unbeliebt ge- 
worden, und die Prinzessin habe bei einer Unterhaltung mit Putbus 
ausgerufen: „Und Paris wird doch nicht bombardiert!“ 
Beim Essen ist der Oberstleutnant von Beckedorff Gast des 
Chefs, der ein alter Freund von ihm ist, und mit dem er sich du 
nennt. Auf dem Tische steht ein spannenhoher Miniaturweihnachts- 
baum, und daneben ein Etui mit zwei Bechern, einem im Stil der 
Renaissance und einem von Tulaer Arbeit.3 Beide, jeder nur zwei 
  
1 Bei Amiens am 23. Dezember. 
2 Moritz von Blanckenburg an Roon vom 18. Dezember: „Auf diesen Punkt 
ldie Beschießung] war in der letzten Zeit Berlin beinahe toll geworden — es war 
eine geradezu empörte Stimmung, ja man redete von Straßendemonstrationen. 
Ein boshafter oder plauderhafter Hofmann hatte seltsame Außerungen verraten, 
und ein Offiziant des englischen Botschafters hatte sich in öffentlichen Lokalen ge- 
rühmt: „Wir Engländer leiden das Bombardement nicht“.“ Roon, Denkwürdig- 
keiten III4, 268. 
3 Silber mit Figuren in schwarzer Email.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.