10. Juli Erstes Kapitel 39
die vielen Zifferdepeschen aufmerksam geworden, die von Berlin
nach Madrid abgegangen seien, und habe die »Geschicklichkeit« gehabt,
sie zu entziffern. Ob wirklich viele Depeschen der Art zwischen den
genannten beiden Orten gewechselt worden sind, wissen wir nicht.
Dagegen erinnern wir uns einer Mitteilung, die der Graf Bismarck
vor einiger Zeit dem Reichstage machte, und nach der ein Chiffre
unsers Auswärtigen Amts aus einem Wörterbuche besteht, das etwa
zwanzigtausend Vokabeln enthält, deren jeder eine ganz willkür—
lich gewählte Zahlengruppe gegenübersteht, die die Vokabel aus—
drückt. Von einem Entziffern der nach diesem System abgefaßten
Depeschen in der Weise, wie es etwa bei verschobnen Alphabeten
und andern ältern Chiffriermethoden möglich ist, kann also nicht
die Rede sein. Um eine solche Depesche lesen zu können, muß
man das Wörterbuch haben. Sollte die „Geschicklichkeite, die die
Pariser Offiziösen rühmen, darin bestanden haben, daß man einen
Schlüssel gestohlen hätte? Die ursprüngliche Behauptung, daß
man erst durch Prims Mitteilung von der Kandidatur des Prinzen
von Hohenzollern erfahren habe, steht dem entgegen. Es scheint
also, daß die Offiziösen ihre Regierung nachträglich von den Vor-
würfen der Ungeschicklichkeit habe reinigen wollen durch eine Er-
findung nach dem Satze: lieber für einen filou gelten als für béte.
4. Nach einer Privatdepesche der Berliner Börsen-Zeitung
aus Paris wäre unser dortiger Botschafter mit dem zweiten Sekretär
der Botschaft von da Pnach Ems abgereist, nachdem ihm sofort
nach Beendigung des Ministerrats in St. Cloud eine Note zuge-
stellt wordenc. Wir haben uns an rechter Stelle nach dem Werte
dieser Nachricht erkundigt und die Antwort erhalten: Note zuge-
stellt? Nicht ein Schatten von Wahrheit. Werthers Reise war
beschlossen und in Paris angekündigt, lange bevor der Spektakel
begann.«
5. Wie bekannt, hatte der Marschall Prim die Absicht, wie
früher so auch dieses Jahr nach Vichy zu gehen, wo das Zusammen—
treffen mit dem Kaiser Napoleon eine Besprechung der spanischen
Thronfolgefrage mit sich gebracht haben würde. Dem Vernehmen
nach waren auch die hohenzollernschen Prinzen willens, Schritte
zu einer vertraulichen Verständigung mit dem Kaiser zu thun. Alles
dies ist durch das brüske Auftreten des Herzogs von Gramont