Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

56 Zweites Kapitel 7.—10. August 
sehr, von manchem vielleicht zu sehr, von den meisten jedenfalls zu 
lange gefeiert. Infolge dessen war ich am nächsten Morgen noch 
nicht aus den Federn, als der Kanzleidiener Lorenz erschien, der 
mir von seiten eines der zurückgebliebnen Räte Abschrift einer 
telegraphischen Depesche überbrachte, laut deren ich sofort ins Große 
Hauptquartier abzureisen hatte. 
Geheimrat Hepke schrieb: „Lieber Herr Doktor, machen Sie 
sich reisefertig zur Abfahrt nach dem Hauptquartier im Laufe des 
heutigen Tages. „Mainz, 6. August, 7.36 abends. Dr. Busch soll 
herkommen und einen Korrespondenten für die Nationalzeitung und 
einen für die Kreuzzeitung mitbringen. Gez. Bismarck.“ Die Wahl 
der Korrespondenten wurde mir von Hepke freigestellt. 
Also doch, grundgütiges Schicksal!l Rasch war das Not- 
wendigste besorgt, bis zu Mittag erhielt ich Paß, Legitimations= 
karte und Freibillet für alle Militärzüge, und gegen acht Uhr 
abends dampfte ich mit den beiden Herren, die ich auf Befehl des 
Ministers als Preßberichterstatter mitnahm, dem Baron v. Ungern- 
Sternberg (für die Kreuzzeitung) und dem Professor Konstantin 
Rößler (für die Nationalzeitung), in Gottes Namen aus dem An- 
halter Bahnhof hinaus, um über Halle, Nordhausen und Kassel 
so schnell wie möglich mein Ziel zu erreichen. 
Wir fuhren anfangs in einem Coupé erster Klasse, später 
wurde die dritte, zuletzt ein Güterwagen daraus. Üüberall gab es 
langen Aufenthalt, der unfrer Ungeduld noch länger erschien, als 
er war. Erst am 9. August, früh nach sechs Uhr, kamen wir nach 
Frankfurt. Da wir hier einige Stunden auf Weiterbeförderung 
warten mußten, hatten wir Zeit, uns zu erkundigen, wo sich das 
Große Hauptquartier jetzt befinde. Der Etappenkommandant wußte 
uns keinen Bescheid zu geben. Der Telegraphendirektor, den wir 
dann mit unfrer Frage aufsuchten, konnte uns auch nichts Be- 
stimmtes sagen. „Vielleicht noch in Homburg — meinte er —, 
wahrscheinlich aber schon in Saarbrücken." 
Erst nach der Mittagsstunde ging es weiter — jetzt in einem 
Gepäckwagen — nach Darmstadt, am Odenwald hin, dessen dunkle 
Berge schwere weiße Nebelwolken umwebten, nach Mannheim und 
auf Neustadt zu. Immer langsamer schlich der Zug hin, und immer 
häufiger stockte die Fahrt vor unabsehbar langen andern Militär-
	        
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