Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

62 Zweites Kapitel 11. August 
steigerte Masse der Geschäfte erforderte einen vierten Chiffreur, auch 
trafen noch einige Kanzleidiener ein, von deren Namen ich leider 
keinen behalten habe. Die Güte unsers „Chefs“ — so wird der 
Reichskanzler von den Angehörigen des Auswärtigen Amtes in ge— 
wöhnlicher Rede bezeichnet — hatte es so angeordnet, daß seine 
Mitarbeiter, Sekretäre wie Räte, auch gewissermaßen Glieder seines 
Haushalts waren; wir wohnten, wenn es die Umstände gestatteten, 
in demselben Hause mit ihm und hatten die Ehre, an seiner Tafel 
zu speisen. 
Der Kanzler trug während des ganzen Krieges Uniform 
und zwar in der Regel den bekannten Interimsrock des gelben Re— 
giments der schweren Landwehrreiterei, dessen weiße Mütze und weite 
Aufschlagstiefel, bei Ritten nach Schlachten oder Aussichtspunkten 
auch an einem über Brust und Rücken gehenden Riemen ein schwarzes 
Lederfutteral mit einem Feldstecher und zuweilen außer dem Pallasch 
einen Revolver. Von Dekorationen sah man bei ihm in den ersten 
Monaten regelmäßig nur das Komturkreuz des Roten Adlerordens, 
später auch das Eiserne Kreuz. Nur in Versailles traf ich ihn 
einigemal im Schlafrock an, und da war er nicht wohl — ein Zu- 
stand, von dem er sonst während des Feldzugs meines Wissens 
fast ganz unangefochten blieb. Auf der Reise fuhr er meist mit 
Abeken, einmal mehrere Tage nacheinander auch mit mir. In be- 
treff der Quartiere machte er äußerst geringe Ansprüche, sodaß er 
sich auch da, wo Besseres zu haben war, mit einem höchst be- 
scheidnen Unterkommen begnügte. 1 Einmal hatte er nicht einmal eine 
Bettstelle, sodaß man ihm sein Lager auf dem Fußboden bereiten 
mußte. 
Auf der Reise fuhren wir meist unmittelbar hinter dem Wagen- 
zuge des Königs her. Wir brachen dann gewöhnlich gegen zehn 
Uhr morgens auf und machten bisweilen starke Touren, bis zu 
sechzig Kilometern. Im Nachtquartier eingetroffen, ging man stets 
  
1 Fürst Bismarck selbst führt diese Behandlung in den „Gedanken und 
Erinnerungen“ II, 94 auf die Verstimmung der Generalstabsoffiziere, der „Halb- 
götter“ zurück, die von 1866 her datierte, weil er damals zu wichtigen mili- 
tärischen Beratungen zugezogen worden war und in manchem Falle gegen sie 
Recht behalten hatte. Siehe auch II 32. 35 u. s. w. über die „Ressort- 
Eifersucht.“
	        
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