Full text: Tagebuchblätter. Erster Band. (1)

64 Zweites Kapitel 11. August 
zwei, manchmal erst nach drei Uhr gönnte sich der Kanzler an 
Orten, wo für längere Zeit Halt gemacht worden war, einige Er- 
holung, indem er einen Spazierritt in die Nachbarschaft unternahm. 
Darauf wurde nochmals gearbeitet, bis man zwischen fünf und sechs- 
Uhr zum Diner ging. Spätestens anderthalb Stunden nachher war 
er wieder in seinem Zimmer am Schreibtisch, und häufig sah ihn 
noch die Mitternacht lesen oder Gedanken zu Papier bringen. 
Wie der Graf es mit dem Schlafen anders wie unter gewöhn- 
lichen Menschen üblich hielt, so lebte er auch hinsichtlich seiner Mahl- 
zeiten in eigner Weise. Früh genoß er eine Tasse Thee und wohl. 
auch ein oder zwei Eier, dann aber in der Regel nichts bis zu 
dem in die Abendstunden verlegten Diner. Sehr selten nahm er 
am zweiten Frühstück und nur dann und wann am Thee teil, der- 
zwischen neun und zehn Uhr serviert wurde. Er aß somit, ge- 
legentliche Ausnahmen abgerechnet, innerhalb der vierundzwanzig 
Stunden des Tages eigentlich nur einmal, dann aber — beiläufig. 
wie Friedrich der Große — reichlich. Diplomaten halten sprich- 
wörtlich auf eine gute Tafel und stehen hierin, wie ich mir habe- 
sagen lassen, kaum den Prälaten nach. Es gehört das zu ihrem 
Gewerbe, da sie häufig einflußreiche oder sonst bedeutende Gäste bei- 
sich sehen, die zu dem oder jenem Zwecke in angenehme Stimmung 
gebracht werden müssen, und da erfahrungsmäßig nichts so angenehm. 
stimmt, wie die Vorräte eines wohlversorgten Kellers und die Er- 
gebnisse der Kunst eines durchgebildeten Kochs. Auch Graf von 
Bismarck führte einen guten Tisch, der sich da, wo die Umstände- 
es erlaubten, zur Opulenz erhob. Dies war namentlich in Reims, 
Meaux, Ferrieres und zuletzt in Versailles der Fall, wo das Genie 
des Künstlers in der Trainmontur uns Frühstücke und Diners schuf, 
denen ein an einfache bürgerliche Kost gewöhntes Gemüt fast mit dem 
Gefühle Gerechtigkeit widerfahren ließ, in Abrahams Schoße zu sitzen, 
zumal da bei ihnen außer andern werten Gaben Gottes aus dem Be- 
reiche trinkbarer Flüssigkeiten der Sekt nicht vermißt wurde. Der 
Küchenwagen hatte zu solchen Mahlzeiten zinnerne Teller, Becher 
aus silberähnlichem Metall, inwendig vergoldet, und eben solche 
Tassen mitgebracht. Einiges zur Verschönerung der Tafel, die uns 
so freundlich nährte, trugen in den letzten fünf Monaten Spenden 
aus der Heimat bei, die, wie billig, auch ihres Bundeskanzlers
	        
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