Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

98 Achtzehntes Kapitel 27. Januar 
besäße. — Es ist wirklich sehr komisch, einen Franzosen so sprechen 
zu hören, und besonders Favre, der immer zur Opposition gehört 
hat. Aber so sind sie. Man kann einem von ihnen fünfund- 
zwanzig aufzählen — wenn man ihm dabei nur eine schöne Rede 
von Freiheit und Menschenwürde hält, die sich darin ausdrücke, 
und die entsprechende Attitude dazu macht, so bildet er sich ein, er 
wird nicht geprügelt." 
„Ach, Keudell — sagte er dann plötzlich —, da fällt mir ein: 
ich muß morgen eine Vollmacht haben, vom Könige — natürlich 
deutsch. Der deutsche Kaiser darf nur deutsch schreiben. Der Mi- 
nister kann sich nach den Umständen richten.“ — „Der anmtliche 
Verkehr muß in der Landessprache geführt werden, nicht in einer 
fremden. Bernstorff hat das zuerst durchsetzen wollen bei uns, er 
war aber damit zu weit gegangen. Er hatte an alle Diplomaten 
deutsch geschrieben, und alle antworteten ihm — nach einem Kom- 
plott natürlich — in ihrer Muttersprache, russisch, spanisch, schwedisch 
und was weiß ich alles, sodaß er einen ganzen Schwarm von 
Übersetzern im Ministerium sitzen hatte. — So fand ich die Sache, 
als ich ins Amt trat. Budberg schickte mir eine russische Note. 
Das ging doch nicht an. Wollten sie sich revanchieren, so mußte 
Gortschakow an unsern Gesandten in Petersburg russisch schreiben. 
Das war das Richtige. Man kann billigerweise verlangen, daß 
die Vertreter des Auslandes die Sprache des Landes verstehen und 
gebrauchen, in dem sie akkreditiert sind. Aber mir in Berlin auf 
ein deutsches Schreiben russisch antworten, das war unbillig. Ich 
bestimmte also: Was nicht deutsch oder französisch, englisch oder 
italienisch eingeht, bleibt liegen und geht zu den Akten. — Budberg 
schrieb nun Exzitatorien über Exzitatorien, immer russisch. Keine 
Antwort, die Sachen waren in den Aktenschrank gewandert. Endlich 
kam er selbst und fragte, warum wir ihm denn nicht antworteten. 
„Antworten? — sagte ich ihm verwundert —, auf was? Ich habe 
nichts gesehen von Ihnen.é — Nun, er hätte vor vier Wochen 
geschrieben und mehrere male erinnert. — Richtig, da besinne ich 
mich — sagte ich ihm —, unten liegt ein Stoß Aktenstücke in 
russischer Schrift, da mags wohl dabei sein. Unten aber versteht 
kein Mensch russisch, und ich habe angeordnet: was in einer un- 
verständlichen Sprache ankommt, geht zu den Akten.“ — Sie
	        
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