102 Achtzehntes Kapitel 29. Januar
„Favre und der General — so äußerte Delbrück später —
sahen wie arme Sünder aus, die morgen aufs Schafott sollen.
Sie dauerten mich.“
„Die Eisenbahner, besonders der Dicke — fügte ein andrer
hinzu —, hieben mit wahrer Wollust ein, als ob sie eine Woche
nichts gehabt hätten."
Keudell hat gute Hoffnung auf baldigen Friedensschluß, er
meinte, wahrscheinlich wären wir in vier Wochen schon wieder in
Berlin. Kurz vor zehn Uhr traf ein Herr mit Vollbart ein, dem
Anschein nach ein mittlerer Vierziger, der sich Duparc nannte und
sofort zum Chef geführt wurde, bei dem er ungefähr zwei Stunden
verweilte. Es soll der ehemalige französische Minister Duvernois
sein, und er käme, heißt es, mit Friedensanerbietungen von Wilhelms-
höhe. Kapitulation und Waffenstillstand bedeuten eben noch nicht
das Ende des Krieges mit Frankreich. 1
29. Januar, Sonntag. Bedeckter Himmel. Unfre Truppen
schreiten zur Besetzung der Forts. Früh Depeschen über die Londoner
Konferenz und andres sowie die gestern unterzeichnete Waffenstill-
stands= und Kapitulationskonvention gelesen. Bernstorff meldet,
Mussurus Pascha sei in der einen Konferenzsitzung sehr heftig ge-
worden, indem er nicht begriffen hat, daß das Arrangement, das
die Zulassung fremder Schiffe im Schwarzen Meere feststellt und
russische Kriegsfahrzeuge vom Durchpassieren durch die Dardanellen
ausschließt, dies aber nur indirekt, also für Rußland nicht verletzend,
ausspricht, für die Pforte ganz ebenso annehmbar ist, als ein gröber
gefaßtes. — Aus einer andern Depesche Bernstorffs geht hervor,
daß der Chef angedeutet hat, Napoleon solle die rechte Zeit nicht
versäumen. Auch heißt es darin, Palikao sei mit dem Plan ein-
verstanden; die Nationalgarde bei der Kapitulation bewaffnet zu
lassen, sei nach dessen Ansicht gefährlich; Vinoy und La Ronciere
seien als kaiserlich gesinnt wohl geeignet zu Befehlshabern der
Truppen in der Stadt. — Die Kapitulation nimmt in unserm
1 Clément Duvernois war schon am 21. Januar in Versailles eingetroffen
und verhandelte mehrmals mit Bismarck. Als er sich am 29. zum letztenmale
bei ihm meldete, schrieb dieser auf den Rand des Briefes: „Zwanzig Minuten
zu spät“ (nach dem Abschlusse des Waffenstillstandes mit Favre). Bismarck-Jahr-
buch IX, 204 ff.