Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

142 Achtzehntes Kapitel 4. Februar 
auf Bismarck unternommen worden wäre, würde dann Frankreich 
den Edelmut haben, nicht Beifall zu klatschen? So viel ist sicher, 
daß diese furchtbare Frage des Mordes aus politischen Gründen 
bis zu dem Augenblicke, wo sie mit der Todesstrafe und dem Krieg 
aus dem Gewissen der Völker ausgerottet ist, immer eine Frage 
der relativen Moral sein wird. 
„Man würde heutigestags, im Oktober 1870, einen Mann, 
den man noch vor einigen Monaten als gemeinen Meuchelmörder 
gebrandmarkt hätte, als Heiland begrüßen“ — gewiß ein schönes 
Zeichen der Wiedergeburt, die sich nach den Anfangsworten des 
Artikels mit Frankreich vollzogen haben soll, und des Hungers 
nach Gerechtigkeit und Ehre, von dem der Verfasser die Brust 
seiner Landsleute schwellen sieht. 
Der Chef ritt schon um ein Uhr weg, wurde aber von Favre, 
der inzwischen angekommen war, doch noch „überfallen“ und arbeitete 
dann mit ihm oben im kleinen Salon. 
Bei Tische waren Fürst Putbus und Graf Lehndorff zugegen. 
Der Chef erzählte zunächst, wie er auch Favre auf den wunder— 
lichen Fall aufmerksam gemacht habe, daß er, der für despotisch und 
tyrannisch verschrieene Graf von Bismarck, im Namen der Freiheit 
gegen die Proklamation Gambettas, des Advokaten der Freiheit, 
der viele Hunderte seiner Landsleute der Wählbarkeit und alle der 
Wahlfreiheit berauben wolle, habe protestieren müssen, und setzte 
dann hinzu, Favre habe das mit einem Oui, c'est bien dröle an- 
erkannt. Ubrigens sei die Beschränkung der Wahlfreiheit, die jener 
verfügt habe, von dem Pariser Teile der französischen Regierung 
nunmehr zurückgewiesen und aufgehoben worden. „Er hat mir das 
heute morgen schriftlich (durch den Brief, den die Nationalgarde- 
offiziere brachten) angekündigt und vorhin mündlich versichert,“ 
sagte er. 
Man erwähnte dann, daß mehrere deutsche Blätter mit der 
Kapitulation unzufrieden seien, indem sie sofortigen Einmarsch unfrer 
Truppen in Paris erwartet hätten. Der Chef bemerkte dazu: „Das 
beruht auf vollständiger Unkenntnis der Lage, hier vor und in Paris. 
Bei Favre hätte ichs durchsetzen können, aber die Bevölkerung! 
Sie hatten gewaltige Barrikaden und dreimalhunderttausend Mann, 
von denen gewiß hunderttausend gekämpft hätten. Es ist Blut genug
	        
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