Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

164 Neunzehntes Kapitel 11. Februar 
Im Gegenteil, wenn wir uns ihm gegenüber ablehnend verhalten 
hätten, so würde man dies französischerseits als eine große Härte 
betrachtet haben. Es sei folglich eine Unverschämtheit von dem 
Lyoner Blatte, uns in dieser Angelegenheit der Unredlichkeit anzu— 
klagen. Nur die Lügenberichte der Franzosen und ihr darauf 
basierter eigner Wunsch trage die Schuld daran, daß es so ge— 
kommen sei. 
In einem Leitartikel für den Moniteur, der die Gedanken 
beider Aufsätze verband, wurde das folgendermaßen ausgedrückt: 
„Der Progrès de Lyon vom 4. Februar schreibt: Man wird 
bemerken, daß Herr von Bismarck bei den Bedingungen des Waffen— 
stillstandes, der eine eigentümliche Ähnlichkeit mit einer Waffen— 
streckung zeigt, nicht vergessen hat, einen Kniff des Handwerks an— 
zubringen, worin er sich auszeichnet. Nach der Depesche Jules 
Favres dürfen die militärischen Operationen im Osten nur bis zu 
dem Augenblicke fortdauern, wo man zu einem Einvernehmen in 
betreff der Demarkationslinie gelangt sei, deren Ziehung quer durch 
die drei gedachten Departements einer schließlichen Verständigung 
vorbehalten worden wäre. Bismarck als abgefeimter Schlaukopf (rou 
compôre) sagt in wenig Worten, aber sehr deutlich, daß die Feind- 
seligkeiten vor Belfort und im Doubs, im Jura und in der Cote d’or 
fortdauern. Augenscheinlich ist Jules Favre hier hinters Licht ge- 
führt worden, und es könnte wohl sein, daß er den Vorwurf der 
Leichtfertigkeit verdiente, den ihm Gambetta in betreff des Waffen- 
stillstandes gemacht hat. Dieses leichte Mißverständnis hat furcht- 
bare Folgen hervorgerufen. Im Sinne Jules Favre bedurfte es 
keiner langen Zeit, um das neutrale Gebiet zwischen den Krieg- 
führenden abzugrenzen, man verschritt dazu ohne Verzug, unsre 
Armee im Osten verblieb uns ungeschmälert bis zum Frieden. 
Bismarck dagegen deutet die Sache als Schüler Escobars:! statt 
Befehl zu sofortiger Absteckung der Grenzen des Waffenstillstands 
zu erteilen, weist er seine Heere an, die Verfolgung mit dem äußersten 
Eifer zu betreiben und so der französischen Ostarmee in kurzer Frist 
den Garaus zu machen. Man kennt das übrige: die unehrliche 
Deutung des Waffenstillstandes durch Bismarck kostet uns die voll- 
  
1 des jesuitischen Moralisten.
	        
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