Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Zwanzigstes Kapitel 193 
denn es konnte kein Zweifel darüber obwalten, daß sich die Be— 
rechtigung zu ihr nicht aus dem Artikel 110 der erst drei Wochen 
später in Kraft getretnen Verfassung herleiten ließ, und zwar um 
so weniger, als dieser Artikel nur von der Aufhebung gewisser 
Grundrechte im Falle eines Krieges oder Aufruhrs handelte. Am 
12. November hatte in Berlin weder das eine noch das andre 
stattgefunden, auch hatte das Ministerium nicht bloß die Grund— 
rechte suspendiert, sondern auch Militärgerichte für Bürger nieder— 
gesetzt, von denen der Artikel 110 nichts sagte, und über die als 
für solche Fälle zulässig auch ältere Gesetze keinerlei Bestimmung 
enthielten. Die Folge des hierdurch veranlaßten Beschlusses des 
Hauses war dessen Auflösung, der am 4. Februar 1850 der so— 
genannte Steuerverweigerungsprozeß folgte, der erst am 21. seinen 
Abschluß fand. Das Ministerium Brandenburg-Manteuffel hatte 
gegen einige vierzig Mitglieder der Nationalversammlung, die den 
am 15. November 1848 gefaßten Beschluß, daß die Regierung nicht 
berechtigt sei, über Staatsgelder zu verfügen und Steuern zu er— 
heben, so lange die Volksvertretung nicht ungestört ihre Beratungen 
in Berlin fortsetzen könne, sowie eine Proklamation vom 18. No— 
vember, die diesem Beschlusse im Lande Nachachtung zu schaffen 
bestimmt war, verbreitet hatten, die Anklage wegen versuchten Auf— 
ruhrs erheben lassen. Der Prozeß war ein Stück Kabinettsjustiz. 
Die Inkompetenz des Kriminalgerichts in Berlin war so sonnen— 
klar, daß der Vorsitzende sich nur damit zu helfen wußte, daß er 
dem Verteidiger verbot, über die Kompetenz zu plaidieren. Die 
besondre Verhaßtheit Buchers in den obern Sphären, die sich bei 
diesem Prozesse äußerte, hatte ihren Grund in seinem soeben er— 
wähnten Referate über die Ungesetzlichkeit des Belagerungszustandes. 
Die Verhandlungen endeten mit der Freisprechung der meisten An— 
geklagten. Dagegen wurden Bucher und drei andre Herren für 
schuldig erklärt und zu fünfzehnmonatiger Festungshaft verurteilt, 
wozu die übliche Beilage, d. h. Verlust der Nationalkokarde und 
bei Beamten Amtsentsetzung kamen. 
Dieser Ausgang der Sache und mehr noch die nach Verbüßung 
der Haft drohenden Polizeischerereien bewogen Bucher ins Ausland 
zu gehn, wo er sich in London dauernd niederließ. Hier begann 
für ihn eine Periode der Klärung, die ihn allmählich aus einem 
Busch, Tagebuchblätter II 13
	        
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