Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

194 Zwanzigstes Kapitel 
juristischen Theoretiker und Ideologen zum Realpolitiker machte. 
Er beschäftigte sich zunächst mit politischen und volkswirtschaftlichen 
Studien und mit der Beobachtung englischer Einrichtungen und 
Sitten, wobei er sich vielfach über bisherige Ideale enttäuscht sah 
und mit Unwillen und Verachtung über Dinge und Personen erfüllt 
wurde, die er mit andern Liberalen bis dahin bewundert hatte. 
Unter den Bekanntschaften, die er hier machte, waren Urquhart 
und später Mazzini, Ledru Rollin und Herzen, welche drei nament— 
lich insofern zu seiner fernern Umbildung beitrugen, als sie mit 
ihrem Nationalitätsprinzip bei den deutschen Gesinnungsverwandten 
auf Stücke deutschen Gebiets im Süden, Westen und Osten speku— 
lierten, was für seinen hier am „Prinzip“ nicht erkrankten Ver— 
stande und bei seiner davon nicht vergifteten patriotischen Ader ihm 
für die Zukunft Mißtrauen einflößte und Vorsicht empfahl. Die 
Erfahrungen und Uberzeugungen, die er auf diesen Wegen ge- 
wonnen hatte, verwertete er neben anderm Material in deutschen 
Blättern, vorzüglich in der Nationalzeitung, der er mehrere Jahre 
unter dem Zeichen □ politische Aufsätze lieferte, die durch gründ- 
liche Kenntnisse der Gegenstände, Reichtum und Tiefe der Gedanken 
und ganz ungewöhnliche Auffassung weithin Aufmerksamkeit er- 
regten. Daneben schrieb er dem Blatte vortreffliche Berichte über 
die Londoner Weltindustrie-Ausstellung, über nachahmenswerte 
englische Hauseinrichtungen und andre praktische Dinge. Ein her- 
vorragendes Verdienst um die Erleuchtung der liberalen Köpfe, die 
sich der Belehrung nicht grundsätzlich verschlossen, erwarb er sich 
durch seine Briefe über den englischen Parlamentarismus, eine 
glänzende Kritik, die mittelbar den Parlamentarismus überhaupt 
traf und den landläufigen Irrglauben, daß man die deutschen Volks- 
vertretungen in allen Stücken nach dem Muster der britischen ge- 
stalten müsse, mit schlagenden Gründen abwies, indem er darthat, 
daß die Verfassung Englands nichts Gemachtes, sondern ein Ge- 
wordnes, ein Produkt des englischen staatlichen und gesellschaftlichen 
Lebens und Wesens sei, und daß die verfassungsmäßigen Einrich- 
tungen nicht allenthalben gleichartig sein können, sondern dem 
Grundwesen, der Geschichte und den dermaligen Zuständen der be- 
treffenden einzelnen Länder entsprechen müssen. Damit verband sich 
die weitere, damals willkommne, jetzt aber bei Vernünftigen nicht
	        
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