Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

200 Zwanzigstes Kapitel 
sollte, und ein vom Parlament abhängiges Ministerialwesen mit 
der Tendenz, das alte preußische Beamtentum dem dienstherrlichen 
Verhältnisse der Krone zu ihm zu entrücken. Er wollte ferner 
die Großmacht Preußen nach der territorialen Abrundung von 1866 
durch kein Bundesverhältnis mehr gefesselt wissen, weil ein solches 
nur den Partikularismus der im Machtgebiet Preußens gelegnen 
Staaten stärken, die eigne Aktion behindern und die naturwüchsige 
eigentümliche innere Entwicklung des Fridericianischen Staats 
schädigen könne. Von dem politischen Nationalgeiste, der sich inner- 
halb einer neuen deutschen Bundesverfassung ausbilden sollte, hielt 
der Verfasser dieser Schrift offenbar nicht viel, und da er auf 
diesem Standpunkte verharrte, ist es nicht zu verwundern, wenn er 
dem Kanzler für seine Politik unverwendbar erschien. Er hatte 
übrigens das Mißgeschick, 1870 seinen Sohn, der als Offizier 
diente, auf dem Schlachtfelde zu verlieren, und als ich mich 1878 
nach ihm erkundigte, hörte ich, er habe sich wegen fortdauernder 
Kränklichkeit zur Disposition stellen lassen. 
Verlassen wir den Raum, wo der hier Charakterisierte arbeitet, 
und wenden wir uns in den schmalen Gang vor ihm zur Rechten, 
so gelangen wir in das Stübchen, das die Handbibliothek des 
Ministeriums enthält, und wo an einem auf den Hof hinaus- 
sehenden Fenster wieder ein Geheimer Legationsrat Graf Hatzfeldt 
(sppäter zum Gesandten in Madrid avanciert, dann Vertreter des 
Reichs beim Sultan geworden, 1880 zum Staatssekretär unter dem 
Reichskanzler bestimmt) ein paar Stunden des Tages thätig ist. 
Im nächsten Zimmer hören wir die allzeit schreibfertige Feder seines 
ältern Kollegen Abeken kreischen, der nun nach seinen Gaben und 
seinem Charakter gewürdigt werden soll. Wenn Lothar Bucher 
vom Kanzler zu seinem Mitarbeiter gewählt worden war, so war 
dieser Geheimrat von ihm geerbt worden. Heinrich Abeken kann fast 
in jeder Beziehung als ein Exemplar der Beamten von der alten 
Schule angesehen werden. Er gehörte mit seinem ganzen Wesen 
und Wollen in die Epoche unfrer Geschichte, die man die litterarisch- 
ästhetische nennen darf, in die Zeit, wo das politische Interesse vor 
der Beschäftigung mit Gegenständen der Poesie und Philosophie, 
mit künstlerischen, philologischen und andern wissenschaftlichen Fragen 
zurücktrat. Er befand sich am wohlsten, er fühlte sich in seinem
	        
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