Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Zwanzigstes Kapitel 207 
Absichten ausführen. Starkes Selbstgefühl und die Notwendigkeit 
einheitlicher Politik vertragen sich nicht. 
Graf Harry Arnim hat dies in dem Liede, das er hiervon zu 
singen wußte, „Ministerialdespotismus“ genannt. Ich nenne es 
das Verlangen nach der unbedingt erforderlichen, streng aufrecht zu 
erhaltenden Hingebung an den Dienst unter einem großen Führer. 
Arnim nimmt Anstoß daran, daß der Reichskanzler einmal ge— 
äußert hat: „Meine Botschafter müssen einschwenken auf Kommando 
wie die Unteroffiziere, ohne zu wissen, warum.“ Ich dagegen finde, 
daß dies ganz vortrefflich das Verhältnis bezeichnet, das zwischen 
dem leitenden Geiste im Auswärtigen Amte und seinen Filialen an 
den fremden Höfen immer bestehen sollte, namentlich aber jetzt, wo 
ein Mann von ureignem Wesen und mit ungewöhnlichen Gedanken 
und Grundsätzen in diesem Amte waltet. Ich hätte mit gütiger 
Erlaubnis der Exzellenzen und Großkreuze, um die sichs handelt, 
auch nichts dagegen gehabt, wenn sie in dieser Außerung des Kanz- 
lers dessen höhere expedierende Sekretäre genannt worden wären. 
Je mehr sie, ihr Selbstgefühl und ihren eignen Geschmack und 
Willen unterordnend, sich als Unteroffiziere, als expedierende Sekre- 
täre betrachten und verhalten, je mehr sie „dienen,“ desto besser 
werden sie arbeiten, und sind sie dabei noch unbefangne, scharf- 
blickende Beobachter und fleißige Berichterstatter, die Sinn für das 
Wesentliche und Abneigung vor Phrasen und Geistmacherei haben 
— dem Grafen Arnim ließ sich beiläufig von diesen Eigenschaften nur 
ein breitwandelnder Fleiß nachrühmen —, so werden sie so ziemlich 
alles erfüllen, was man billigerweise von ihnen erwarten kann. 
Ich sollte die Leser nun die Treppe unter der grün und goldnen 
Kuppel hinauf in das erste Stockwerk des Hauses führen und ihnen 
die Zimmer zeigen, die der Reichskanzler mit seiner Familie inne 
hat. Aber ich ziehe es vor, sie zuerst einen Blick in den Park 
hinter dem Hofe und dem kleinen Seitengebäude des Hauses thun 
zu lassen. Dieser Park, ein Rest des früher bis hierher reichenden 
Tiergartens, von dem auch sonst hinter der Wilhelmstraße noch 
manche breite Gruppe schöner alter Schattenbäume übrig geblieben 
ist, unter deren Wipfeln die Nachtigallen der Büsche den grünen 
Frühling und den Sonnenaufgang feiern, ist in allen seinen Teilen 
stattlich und anmutig. Besonders anmutig, fast zauberhaft kam mir
	        
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